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Studiostandards: Vocal-Mikrofone

Viele Stimmen, die wir auf unseren Lieblingsplatten aus den letzten Jahrzehnten hören können, sind in den Studios mit den immer gleichen Mikrofonen aufgenommen worden.

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Dabei sind hauptsächlich Kondensatormikrofone zum Einsatz gekommen, gerne auch in Röhrentechnik. Es geht aber auch anders. Und wenn man nicht das Geld für eines der originalen Mikros aufbringen kann oder will: Oftmals gibt es preiswerte Alternativen!
Auf die Gefahr hin, mich zu sehr zu wiederholen: Es gibt natürlich nicht das eine Mikrofon, welches in allen Fällen das am besten geeignetste ist. Ihr könnt Besitzer eines edlen Vintage-Mikrofons sein, aber für eine bestimmte Stimme in einem gewissen Song doch beim preiswertesten aus eurem Fundus landen – Geld allein macht noch keinen Sound. Aus diesem Grund fällt es auch schwer, konkrete Empfehlungen zu geben.

DAS Röhrenmikrofon: Neumann U 47, weltweite Referenz

“U 47” ist das Kürzel, das die Tontechniker- und Produzentenherzen höher schlagen lässt. Das Röhrenmikrofon mit der legendären M7-Kapsel gilt als Blaupause für Tube-Mikes schlechthin und dient vielen als klangliche Referenz. Bemerkenswert ist weniger die Farbe, die die alte Telefunken-Stahlröhre VF14 und der Ausgangsübertrager beisteuern, sondern die “Dreidimensionalität” des Klangs und der schöne Support der Hochmitten/Präsenzen. Lester Smith, der Mikrofon-Ingenieur der Abbey Road Studios, hat mir bei meinem Besuch dort von den altgedienten U 47 vorgeschwärmt. Habt ihr schon mal “Neumann U 47 gebraucht” im Suchmaschinenfenster eingegeben? Das könnt ihr gleich wieder löschen: Wirklich gut erhaltene U 47 sind (wie auch die U 48 mit Achter- statt Kugelstellung) eigentlich unbezahlbar. Und wenn man eines hat: Die Röhre wird schon lange nicht mehr hergestellt und ist dementsprechend teuer. Es gibt einen Haufen von Herstellern, die behaupten, dem Original sehr nahe zu sein. Um ein paar zu nennen: Wunder, Bock, Flea, Pearlman, Voxorama, Peluso, Soundelux. Mit Telefunken Elektroakustik gibt es einen amerikanischen Hersteller, der sich gewisse Namensrechte gesichert hat, und der in seiner Diamond-Serie mit ihrem U 47 den vielleicht “offiziellsten” Nachbau anbietet (einige U 47 wurden Mitte des letzten Jahrhunderts unter dem Telefunken-Label in den USA vertrieben). Gut, das Ding kostet immer noch so viel wie ein neuer Dacia Logan. Aber auch für die Clones und “vom U 47 inspirierten” Röhrenmikrofone sollte man mindestens 2000 Euro Budget einplanen. Von Neumann selbst gibt es das M 147, ein reines Röhren-Nierenmikro für gut 2000 Euro. Einen echten Preisbrecher als Budget-Alternative kann ich hier nicht guten Gewissens nennen, allenfalls Mojave MA-200, welches sich klanglich zumindest grob in der Nähe befindet. Ich persönlich bin schnell beim Microtech Gefell UM 92.1 S gelandet. Gefell ist quasi der “Ost-Teil” des Neumann-Unternehmens und stellt mit der M7 immer noch die für den Sound maßgebliche Kondensatorkapsel her – und zwar wirklich auf PVC- statt auf Mylar-Basis. Der Sound ist deutlich cleaner und moderner als der eines U 47 oder vieler Clones. Allerdings ist das 92er dadurch vielseitiger. Dennoch kann man mit einem “grainy” klingenden Preamp viel von dem alten Klangcharakter erzeugen, weil das Ausgangssignal es hergibt. Kostenpunkt: 3000 Euro in der umschaltbaren Variante.

Originales Produktfoto des Neumann-Klassikers (Quelle: Neumann GmbH)
Originales Produktfoto des Neumann-Klassikers (Quelle: Neumann GmbH)

Ein Buchstabe und zwei Zahlen machen drei Buchstaben zur Legende: C12 von AKG

Das C12 hat den Mythos AKG begründet. Das Mikrofon mit der im Gegensatz zur M7 nicht mittenkontaktierten Kapsel gilt als etwas bissiger und durchdringender, ist aber ebenfalls extrem beliebt. Die im Auftrag von Telefunken von AKG hergestellten Mikrofone ELA M 250 und ELA M 251 sowie ELA M 250E und ELA M 251E sind prinzipiell C12, jedoch mit großen optischen, einigen technischen und kleineren klanglichen Unterschieden – sie gelten als etwas kontrollierter in den Höhen und weniger “rauschig”. Auch die ELAs gibt es von Telefunken Elektroakustik, allerdings für einen fünfstelligen Eurobetrag. Das AKG C12 VR ist ein tolles Mikrofon, hat klanglich und technisch allerdings nicht allzu viele Gemeinsamkeiten mit dem historischen Original – wie schon bei AKG D12 und D12 VR. Clones gibt es eine Menge, vor allem von vorgenannten Herstellern. Eine der preiswertesten Möglichkeiten, ein C12-Wannabe zu erstehen, kommt übrigens von Warm Audio. 

The Dark Star: Neumann U 67

Das Neumann U 67 begründete vor allem etwas, das bis heute vielen Mikrofonen, besonders solchen aus dem Hause Neumann selbst, als Vorbild gilt: die markante Form. Das U 67, optisch dem späteren, transistorisierten U 87 ähnelnd, ist ein Röhrenmikrofon mit der K67-Kapsel, die auch heute gerne noch als Referenz genutzt wird. Das 67 besticht durch den generell etwas dunklen und rauchigen Klangcharakter, der vor allem gerne für Frauenstimmen genutzt wird und besonders im Nahbereich geradezu magisch ist. Gut erhaltene U 67 sind teuer, es wird von Neumann aber wieder so originalgetreu wie heute möglich hergestellt, zu einem ordentlichen Preis. Beerbt wird das alte “Usi” aber auch durch das Neumann TLM 67, welches jedoch sowohl auf die Röhrentechnik als auch auf den Ausgangsübertrager verzichtet… Von Warm Audio gibt es mit dem WA-67 einen beliebten Nachbau. Korby 67 und die Variante von Bees Neez sollen dem Original recht nahe kommen. Und wer es wirklich dunkel, aber detailliert will, der sollte sich um ein traditionelles, passives Bändchenmikrofon bemühen.

Bekannte Form, geliebter Sound: U 67 (Quelle: Neumann GmbH)
Bekannte Form, geliebter Sound: U 67 (Quelle: Neumann GmbH)

Preiswertester aller Klassiker: Shure SM 7B

Shures Klassiker ist ein dynamisches Mikrofon: Das SM 7B arbeitet nach dem Tauchspulenprinzip und ist dementsprechend robust und preiswert. Für unter 400 Euro bekommt man ein flexibles Mikro, welches zwar nicht durch die feine Darstellung höchster Höhen glänzt, aber Rappern, Shoutern, aber auch Pop-Vocaleros und Singer/Songwritern gut zu Gesicht steht und nun wirklich jeden Mikrofonpark sinnvoll erweitert. Einen Haken hat die Sache jedoch, denn super preisgünstig wird man nicht davon kommen. Ich würde nicht empfehlen, das Mikro mit einem einfachen Mic-Preamp eines normalen Audio-Interfaces zu verwenden, sondern tiefer in die Tasche zu greifen. Vorverstärker wie der True Systems P-Solo Ribbon sind wie gemacht für die Dynamiker, aber auch mit Neve-Style-Preamps können sie ihre Fähigkeiten ausspielen. Eine preisgünstige Lösung wäre, ein Shure 545D, SM57 (mit Filter) oder ein SM58 zu nutzen (alle etwas über 100 Euro) mit dem V.A.S.-Preamp von Fredenstein zu kombinieren.

Geniales Tauchspulenmikrofon: Shure SM 7B
Geniales Tauchspulenmikrofon: Shure SM 7B

“Honorable Mentions”

Es gibt noch einige andere Mikrofone, mit denen oft Stimmen eingefangen wurden und werden – und nicht nur Großmembran-Kondensatormikros! Manchmal wird statt eines Shure SM 7B ein Electro-Voice RE20 (ca. € 460) eingesetzt, welches im Nahbereich nicht so verbasst und auch brutale Pegel anstandslos überträgt. Bändchenmikrofone amerikanischer Prägung waren eigentlich immer RCA, gerne KU3A (Hyperniere!) oder RC44, die heute von AEA wieder gebaut werden – zu Preisen, die schnell an die 5000 Euro heranreichen. Oktava ML-52 (€ 305), MXL R77 (€ 349) und Golden Age Project R1 MkII (€ 199) sind da deutlich preiswerter.

Fotostrecke: 2 Bilder Electro Voice RE20

Auch mit Kleinmembranern kann man besser Vocals aufnehmen, als man zunächst vielleicht erwartet – und das wird auch viel getan. Klassischer Gesang und weiterer, der besonders natürlich wirken soll (z.T. Folk, manchmal Jazz…) ist mit einem Schoeps Colette mit MK2-Kapsel gut bedient, allerdings kostet diese Kombination etwa 1.500 Euro. Preiswerter ist das etwas weniger offene Neumann KM 184, Budget-Alternativen gibt es so viele, dass ich hier gerne auf den umfangreichsten Vergleichstest der Welt hinweisen möchte: Unser bonedo-Testmarathon mit gut 40 verschiedenen Kleinmembran-Mikros…
Auch unter den hauptsächlich für Gesangsaufnahmen eingesetzten Mikrofontypen, den Großmembran-Kondensatormikrofonen, gibt es noch einige, die man auf keinen Fall verschweigen darf. So sind die transistorisierten Nachfolger der oben genannten Neumann-Klassiker in jedem Fall zu nennen, namentlich das U 87 und das U 47 FET. Das aktuelle U 87 Ai, dessen UVP heute an der 3000-Euro-Marke schabt, unterscheidet sich klanglich von früheren Versionen, zählt aber immer noch zu einem der beliebtesten Allrounder. Maßgeblich klangformend ist der Peak etwas unterhalb von 10 kHz in allen Richtcharakteristiken. Das U 47 FET wird seit diesem Jahr wieder nach Originalspezifikationen hergestellt – für annähernd 4000 Euro. Budget-Alternativen: Mojave MA-201FET und eine große Zahl umschaltbarer Großmembraner. Auf keinen Fall fehlen dürfen auch die C414-Mikrofone von AKG. Achtung, hier gibt es viele verschiedene Serien. Für Vocals genial: C414 B-TLII und C414 EB! Zu guter Letzt: Das Sony C800G, von einigen als das genialste Mikrofon schlechthin bezeichnet, von anderen als das “most overhyped” Mikro der Welt, ist es vom Kapseldesign her nicht weit entfernt von Neumanns K67 (aus dem U67), zählt aber als etwas straffer und punchiger. Mittlerweile gibt es auch davon Nachbauten, die man meist an ihren Kürzeln und an der Form erkennt. Ein gutes Beispiel ist das Golden Age Premier GA-800G.

Neumann KM 184: beliebte und bezahlbare Kleinmembran-Kondensatormikrofone
Neumann KM 184: beliebte und bezahlbare Kleinmembran-Kondensatormikrofone

Fazit

Schaut mal unter euch: Ist da ein Sabberlache? Verständlich! Aber wischt die ruhig mal wieder auf. Für viele erfolgreiche Produktionen wird heute Gesang mit recht einfachen Mikrofonen aufgenommen, die sich klanglich eher zurückhalten, aber technisch sehr gut aufgestellt sind – bei heutiger Extremkompression in manchen Musikrichtungen ist es wichtiger, dass man kein Rauschen mit nach oben zieht, als das letzte Quäntchen Soundoptimum zu finden. Insofern: Mit einem hochwertigen Kondensatormikrofon in Nierencharakteristik seid ihr gut bedient, Umschaltbarkeit und Röhrentechnik wäre schon “advanced” und ist erst einmal nicht zwingend nötig. Das gilt vor allem, wenn man sich nur ein Mikrofon anschaffen will oder kann. Mein persönlicher Tipp für den Standard-Anwender wäre die Anschaffung eines Neumann TLM 103, eines Microtech Gefell MT 71 S oder vergleichbaren Mikrofons, die beide um die tausend Euro kosten. Preiswerter und definitiv eine gute Partie sind das AT4040 (€ 415) von Audio-Technica und das Origin von Aston (€ 239). Nimmt man immer die gleiche Stimme auf, lohnt sich aber, ausführlich auszuprobieren. Und denkt daran, dass ein Mikrofon zwar eine enorm wichtige Aufgabe hat, alleine aber nicht für eine gelungene Produktion ausreicht. Ihr braucht ja noch Stativ, Kabel, Pop-Schutz, akustisches Treatment, Vorverstärker, Wandler/Interface, Soft- oder Hardware-Effekte und eine gute Abhörmöglichkeit – macht also nicht den Fehler, zu viel Geld für ein Item auszugeben und dabei die anderen zu vernachlässigen. Nicht zuletzt sind der Raum, vor allem aber die stimmlichen Voraussetzungen, Gesangstechnik, die Kreativität/Inspiration, das Können des Engineers und die Tagesform aller an der Musikproduktion beteiligten Personen nicht zu verachtende Faktoren.

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randomseed sagt:

#1 - 18.06.2016 um 17:44 Uhr

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schon interessant, aber ein bisschen wie die forbes liste der reichsten... Mir fehlen da die günstigen alternativen für otto normalrecorder und eine einordnung, wie die im vergleich zum profi high end bereich einzuschätzen sind. trotzdem interessant, danke!

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