Nun ist das mit dem Original so eine Sache. In so manchem Studio der oberen Liga steht einer, der so gut klingt, dass die absurd anmutenden Preise, die ein gebrauchter 660 heutzutage erzielt, gerechtfertigt scheinen, in anderen Studios stehen wiederum Exemplare, die recht wenig Charakter mitbringen. Das liegt einerseits daran, dass die einzelnen Exemplare von vornherein teilweise unterschiedlich ausgeführt waren, auch fehlende oder falsche Pflege und Wartung spielt sicher eine Rolle. Nun kommt es aber im Zeitalter der Digitaltechnik auf die Färbung an: Unauffällige Kompression holen wir uns billiger und einfacher von Plugins. Von einem Röhrenkompressor erwarten wir, dass er das tut, wofür der Fairchild eigentlich nicht konzipiert wurde: er soll Charakter haben.
Diese “Handschrift” eines antiken Röhrenkompressors ist deswegen bei jedem Exemplar eine andere, weil die verwendeten Röhren und, wichtiger noch, die Übertrager teilweise aufgrund ihres Alters unterschiedliche harmonische Verzerrungen und Sättigung erzeugen.
Es ist also durchaus schwierig, die Frage, ob der Fredenstein F660 denn nun wie ein “echter” klingt, zu beantworten. Sie stellt sich allerdings auch nicht unbedingt, da der F660 nicht als Klon, sondern als Weiterentwicklung angeboten wird.
Details
Goldbarren
Äußerlich handelt es sich um einen kompakten 3HE-Quader in Fredenstein-Gold, wobei die Gestaltung der Frontplatte ein wenig an eine Karaoke-Anlage erinnert. Neben einem großen und drei kleinen Drehreglern in HiFi-Optik finden sich zwei Pegelanzeigen (Output Level und Gain Reduction) und ein relativ großes, aber sehr einfaches Display, das Reminiszenzen an Akai-Sampler der frühen 90er-Jahre weckt.
Rückseitig finden sich Powerschalter und -anschluss, XLR-Anschlüsse für In, Out und Sidechain und gleich zwei Anschlüsse für proprietäre Spezialkabel zur Verlinkung zweier Geräte. Einen USB-Anschluss sucht man vergebens. Schaltet man das Gerät rückseitig ein, meldet sich zunächst die Software mit einem kurzen Bootvorgang und der Aufforderung, das Gerät durch einen Druck auf das große Drehpoti zu starten. Die Bedienung erfolgt über impulsgebende Drehpotis, wobei das große Poti alle Funktionen abdeckt und die kleinen jeweils festen Parametern zugewiesen sind.
Die Bedienung fühlt sich ruckelig an, weil die Software träge auf die Impulse der Potis reagiert – ab einer Geschwindigkeit von etwa 10 Impulsen pro Sekunde streikt das System, so dass beispielsweise der Vorgang, von einem -5 dB Threshold auf OFF zu drehen, circa 4 Sekunden dauert. Wenn man die Regler sehr langsam dreht, fühlt sich die Bedienung einigermaßen flüssig an. Der Druck auf das große Poti ist Enter und Escape gleichzeitig, was zusammen mit der unerwarteten Richtung des Potis (Uhrzeigersinn ist Up, gegen den Uhrzeigersinn ist Down) das Justieren der Parameter etwas exotisch anmuten lässt.
In der etwas rudimentär geratenen Bedienungsanleitung findet sich ein kurzer Text darüber, dass die Entwickler des Fredenstein F660 viel Wert auf Klangtreue gelegt haben, so wird als positiv hervorgehoben, dass der Fredenstein im Gegensatz zum echten Fairchild das Eingangssignal so gut wie nicht beeinträchtigt oder gar verzerrt. Das wird durch eine digitale Steuerung des Arbeitspunktes der Röhren erreicht sowie durch einen ziemlich großen Übertrager aus eigener Herstellung. Die verwendeten Röhren sind originalgetreue slowakische Reproduktionen der im Vorbild verwendeten Röhren.
Aus technischer Sicht ist es eine beeindruckende Leistung, den Fairchild in puncto Neutralität zu übertreffen und der Praxistest bestätigt das. Auf Übersteuerung reagiert der Kompressor nur zaghaft mit Obertönen, lediglich wenn man es wirklich übertreibt, kommt ein eher unappetitliches Kratzen hinzu. Die Messung zeigt, dass sich ab einem angezeigten Ausgangspegel von +10 dBu die zweite und dritte Harmonische schüchtern zu Wort melden, bevor dann schon bei etwa 12 dB ein bunter Strauß an weiteren Obertönen aufblüht.
Im Inneren des F660 arbeiten vier neu produzierte JJ 6386 Röhren.
Die Kompression klingt recht sauber, der F660 kann Transienten herausheben und tut den Höhen nichts zuleide, was schon mal ein gutes Merkmal für einen Kompressor ist. Ich habe mich spontan bei der Parallelkompression einer Drumgruppe wohl gefühlt.
Mit einem Bass gefüttert, reagiert der Fredenstein ein klein wenig verschnupft, statt wie ältere Vari-Mu-Kompressoren den Bassbereich dreidimensional zu öffnen, scheint er das Gegenteil zu tun. Man möchte ihm die Nase putzen. Dieser Effekt ist jedoch minimal, folgende Beispiele sollen einen Eindruck vermitteln:
Bass
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Bass: unbearbeitetes SignalBass: Compression Ratio 4:1, Time Constant 1, Attack normalBass: Compression Ratio 4:1, Time Constant 3, Attack normal
Das Haupteinsatzgebiet eines Röhrenkompressors ist natürlich der Gesang. Er soll die Stimme harmonisch verdichten und dabei die Dynamik so begrenzen, dass die Manipulation der Lautstärke möglichst wenig auffällt. Den F660 verlassen sowohl Frauenstimmen als auch Männerstimmen klanglich in etwa so, wie sie reingekommen sind, abgesehen von ein paar Artefakten der Regelung und einem leichten Substanzverlust im Kern, der schwer zu orten, aber spürbar ist.
Female Vocal
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Female Vocal: unbearbeitetes SignalFemale Vocal: Compression Ratio 2:1, Time Constant 2, Attack normalFemale Vocal: Compression Ratio 5:1, Time Constant 6, Attack normal
Neben den Röhren soll ein recht großer Übertrager dafür sorgen, dass das Eingangssignal so gut wie nicht beeinträchtigt wird.
Piano
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Piano: unbearbeitetes SignalPiano: Compression Ratio 2:1, Time Constant 1, Attack normalPiano: Compression Ratio 2:1, Time Constant 1, Attack ultraPiano: Compression Ratio 2:1, Time Constant 2, Attack normalPiano: Compression Ratio 2:1, Time Constant 2, Attack ultraPiano: Compression Ratio 2:1, Time Constant 3, Attack normalPiano: Compression Ratio 2:1, Time Constant 4, Attack normalPiano: Compression Ratio 2:1, Time Constant 5, Attack normalPiano: Compression Ratio 2:1, Time Constant 6, Attack normalPiano: Compression Ratio 2:1, Time Constant 6, Attack ultra
Wie gesagt ist der originale Fairchild auch ein eher unauffällig arbeitendes Gerät. Deswegen und auch weil sich für die meisten Käufer vermutlich nicht die Frage stellt, ob man sich stattdessen das Original kauft, verzichte ich allerdings gern auf den direkten Vergleich und gehe lieber von einer allgemeinen Erwartung aus, die an Röhrenschaltungen heutzutage gestellt wird: Sie sollen erstens einen reproduzierbaren Klang bieten. Das tut der Fredenstein zweifellos. Zweitens erwarte ich von einem Röhrengerät, ob es sich um eine Vintage-Einheit wie einen BA6A oder STA Level oder um modernes Equipment wie etwa einen Culture Vulture handelt, dass es den Klang hörbar veredelt. Das kann sich in einer als greifbarer empfundenen Ortung im Bassbereich oder auch als unaufdringliche Präsenz in den Höhen manifestieren. Je nach Ausgangsmaterial und Röhrenschaltung geschehen diese Dinge in unterschiedlicher Wahrnehmbarkeit. Ich bewerte den F660 nach umfangreichen Tests mit verschiedenen Signalen als hochwertig, aber sehr unauffällig, vergleichbar beispielsweise mit Plugins, die Röhrenartefakte simulieren. Nun ist eine klangliche Beurteilung immer subjektiv. Ich entscheide mich daher, den in meinen Ohren etwas farblosen Klangcharakter zwar zu erwähnen, aber nicht in die Bewertung einfließen zu lassen.
Kombiniert man die schnellste Attack-Zeit mit der schnellsten oder zweitschnellsten Release-Zeit (oder die zweitschnellste Attack-Zeit mit dem schnellsten Release) kann es zu recht hässlichen Knacksereien kommen. Das ist der Physik geschuldet: Wenn die Lautstärke schneller geregelt wird als eine Halbwelle des Audiomaterials lang ist, entstehen naturgemäß Glitches. Außerdem entspricht das nach meiner Kenntnis durchaus dem Verhalten eines originalen Fairchild, was wohl der Grund sein mag, dass im Original derart kurze Regelzeiten gar nicht erst anwählbar sind. Ich erwähne es, weil ich zahlreiche Beispiele für Kompressoren und Limiter kenne, die außerordentlich schnell regeln und diesen Nebeneffekt nicht zeigen. Es stellt sich also die Frage, inwieweit eine solche Erweiterung der Parameter sinnvoll ist. Zumindest werte ich es als Hinweis auf ein etwas unelegantes Regelverhalten.
1/2 Im F660 werden digitale und analoge Welt zusammengeführt…
2/2 …und eine saubere Kompression mit extrem wenig Klangverlust erzeugt.
Außerdem gesellt sich ab einer Gain Reduction von -10 dB eine spröde und etwas kratzige Verzerrung zum Signal, was sich laut Hersteller bei einer Vari-Mu-Schaltung generell nicht vermeiden lässt. Dies sei also nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Das Handbuch empfiehlt ausdrücklich, den F660 nur im Bereich bis 5 dB Gain Reduction zu verwenden.
Ich habe hier als Klangbeispiel einen Drumloop mit allen technisch möglichen Einstellungen bearbeitet und möchte noch einmal darauf hinweisen, dass nicht jede dieser Einstellungen musikalisch sinnvoll ist. Der Vollständigkeit halber erschien es mir aber angeraten, einen umfassenden Überblick zu bieten.
Drum Loop
Audio
Samples
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Drums: unbearbeitetes SignalDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 1, Attack normalDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 1, Attack fastDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 1, Attack ultraDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 2, Attack normalDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 2, Attack fastDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 2, Attack ultraDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 3, Attack normalDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 3, Attack fastDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 3, Attack ultraDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 4, Attack normalDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 4, Attack fastDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 4, Attack ultraDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 5, Attack normalDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 5, Attack fastDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 5, Attack ultraDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 6, Attack normalDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 6, Attack fastDrums: Compression Ratio 2:1, Time Constant 6, Attack ultra
Der Sidechain kommt ohne eigenes Hochpass-Filter aus, es handelt sich lediglich um einen Anschluss, der das Einschleifen eines externen Filters ermöglicht.
Die Beantwortung der Frage, für welche Arbeitsumgebung der Fredenstein F660 wohl hauptsächlich gedacht ist, fiel mir überraschend schwer. Gegen den Einsatz in kleinen Projektstudios spricht der hohe Preis. In großen Studio-Setups stört es ein wenig, dass man das Gerät niemals über einen Hauptschalter ausschalten sollte, weil es seinen Zustand nur dann speichert, wenn man es per Menü eigens herunterfährt. Tut man das nicht, wacht es am nächsten Tag mit einem ganz anderen Setup wieder auf.
Gegen den Gebrauch in einer Mastering-Regie spricht, dass der eingebaute Lüfter des F660 ein deutlich vernehmbares Eigengeräusch produziert, weshalb man versucht ist, ihn in den Serverraum zu verbannen. Da zeigt sich, dass die digitale Steuerung nicht zu Ende gedacht ist, denn mit einem USB-Anschluss hätte man sicherlich nichts falsch gemacht.
Wie vom Hersteller versprochen ist der Fredenstein F660 ein Gerät, das die Aspekte der digitalen und der analogen Welt zusammenführt. Was genau die Vorteile und Nachteile der analogen und der digitalen Welt sind, ist sicherlich Gegenstand subjektiver Beurteilung und abhängig vom Einsatzgebiet. Als Nachteile der digitalen Welt gelten häufig die wenig handgreifliche Bedienung und der eher nüchterne Klang. Nachteile analoger Geräte sind zum Beispiel die Größe der Geräte, der hohe Preis und mangelnde Vernetzbarkeit. Das alles sind Eigenschaften, die Fredenstein im F660 Eher vereint, statt sie gegeneinander auszuspielen.
Vorteile der analogen Technik sind am F660 schwerer zu entdecken, da harmonische Verzerrung und Sättigung eher sparsam ausfallen. Und auch die Möglichkeiten der digitalen Technik bleiben weitgehend ungenutzt.
Als positiv hervorzuheben bliebe, dass der F660 bei dezenter Gain Reduction und weniger schnellen Zeitparametern eine unauffällige und saubere Kompression liefert, die in den Höhen keine Schäden anrichtet, in den Mitten nur zu einem kaum spürbaren Substanzverlust und in den Bässen lediglich zu einer leichten Verengung führt. Das ist zwar etwas mehr, als viele Plugins oder preiswerte Hardware-Kompressoren bieten, bei dem Preis sollte man aber deutlich mehr erwarten dürfen.
Unser Fazit:
2,5 / 5
Pro
saubere Kompression mit extrem wenig Klangverlust
Contra
hoher Preis
umständliche Bedienung
vergisst Setting bei Stromverlust
vernehmbares Lüftergeräusch
fehlende Einbindungsmöglichkeit in digitale Systeme
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