Avid Pro Tools Carbon Test

Mit Pro Tools Carbon hat Avid nach über zehn Jahren wieder ein neues DSP-System vorgestellt. Welche innovativen Techniken darin stecken und warum dieses System vor allen Dingen Musiker adressiert, zeigt der folgende Test

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Die Veröffentlichung neuer Audiohardware ist bei Avid in den vergangenen Jahren immer seltener geworden. Das Flaggschiff Pro Tools HDX mit den PCIe-Karten und 18 Texas-Instruments-DSPs pro Karte sowie einem Avid-Audiointerface nach Wahl kam 2011 auf den Markt, auch wenn es bei den Audio-Interfaces in der Zwischenzeit neue Entwicklungen wie zum Beispiel das Avid Matrix oder Drittanbieter-Interfaces gab. Ähnlich alt sind Pro-Tools-HD-Native-Systeme, die im Unterschied zu Pro Tools Carbon und HDX keine DSPs zur Berechnung des Mixers und für Plug-ins bieten. Pro Tools Carbon arbeitet mit den gleichen 350MHz-DSPs wie eine HDX-Karte, diese lassen sich aber etwas smarter einsetzen.

Details

Audio-Interface: Ein- und Ausgänge

Beim neuen Pro Tools Carbon muss man zwischen der cleveren Softwarearchitektur und dem physikalischen Audio-Interface differenzieren: Die eine Höheneinheit in Anspruch nehmende 19-Zoll-Hardware kommt mit Anschlüssen für ein gehobenes Projektstudio, das bis zu 24 Audiosignale (bis 48 kHz) parallel aufnehmen will. Zum Monitoring stehen neben dem Monitorausgang für die Lautsprecher vier unabhängige Kopfhörerwege zur Verfügung, auch ein Talkback-Mikrofon ist eingebaut.
Wenn man alles addiert, kommt man auf 25 Eingänge bei bis zu 48 kHz: acht analoge, 16 ADAT-Kanäle plus Talkback-Mikrofon. An Ausgängen gibt es 34 Kanäle: den separaten Stereo-Monitorausgang, acht analoge, 16 ADAT-Kanäle und vier Stereo-Kopfhörerausgänge. Bei Samplingraten oberhalb von 48 kHz reduzieren sich die ADAT-Pipelines per SMUX auf vier Kanäle je Lichtleiterkabel bis 96 kHz und zwei bei bis zu 192 kHz.

Pro Tools Carbon ist ein komplettes Recordingsystem mit zahlreichen Ein- und Ausgängen, mit dem sich bis zu 24 Spuren gleichzeitig aufnehmen lassen.
Pro Tools Carbon ist ein komplettes Recordingsystem mit zahlreichen Ein- und Ausgängen, mit dem sich bis zu 24 Spuren gleichzeitig aufnehmen lassen.

Eigentlich mehr

Wenn man ein wenig genauer hinschaut, bietet das Carbon-Interface mehr als 25 Eingänge, wenn auch nur 25 gleichzeitig nutzbare. Denn für die acht analogen Inputs stehen insgesamt 26 verschiedene physikalische Eingänge zur Verfügung: acht Mikrofonvorverstärker, acht Lineeingänge auf der kombinierten XLR-/Line-Buchse (TRS) oder via D-Sub-Multicorebuchse sowie zwei Instrumenteingänge auf der Vorderseite des Interfaces. Die gedoppelten Lineeingänge via D-Sub bieten die Möglichkeit, neben einem Mikrofon auch eine Linequelle gleichzeitig anzuschließen, wenn auch nicht gleichzeitig zu nutzen.

Die Line-Ein- und -ausgänge sind als D-Sub-Buchsen (Multipin) konzipiert. Eine Anschlusstechnik, die Avid schon seit über 20 Jahren für seine Interfaces verwendet.
Die Line-Ein- und -ausgänge sind als D-Sub-Buchsen (Multipin) konzipiert. Eine Anschlusstechnik, die Avid schon seit über 20 Jahren für seine Interfaces verwendet.

Das Avid Carbon wird mit einer Standard-Pro-Tools-Lizenz geliefert, deren Limit eigentlich bei 32 I/Os liegt. Mit Carbon funktionieren aber trotzdem alle 34 Ausgänge des Interfaces parallel.

Anschlussformat AVB

Spätestens beim Anschließen an den Computer wird klar, dass Pro Tools Carbon über das AOIP-System  AVB (Audio Video Bridging) und nicht über USB, Thunderbolt oder dergleichen angeschlossen wird. Da Windows diesen Standard aktuell (Januar 2021) noch nicht unterstützt, läuft Carbon nur auf einem Mac mit mindestens macOS 10.15.6.

Die AVB-Verbindung zum Mac wird über ein Ethernetkabel hergestellt, der zweite Ethernet-Port am Carbon dient nun als Netzwerkanschluss für den Mac.
Die AVB-Verbindung zum Mac wird über ein Ethernetkabel hergestellt, der zweite Ethernet-Port am Carbon dient nun als Netzwerkanschluss für den Mac.

Während der eine Ethernetanschluss für die AVB-Konnektivität zum Mac zuständig ist, lässt sich der zweite Anschluss zur Verbindung mit dem lokalen Netzwerk oder einem EuCon-Controller verwenden, sodass man durch den Anschluss von Carbon keine Schnittstelle des Mac verliert.

Weitere Anschlüsse

Knapp die Hälfte der Rückseite des Gehäuses nehmen die acht Kombibuchsen für Mic- und Linesignale ein. Wer für maximale Anschlussvielfalt im Studio sorgen will, benutzt diese ausschließlich für Mikrofone und verwendet den daneben liegenden D-Sub-Anschluss zur Verbindung von Linequellen. Die Mikrofoneingänge fünf bis acht bieten je drei verschiedene Eingangswiderstände, zur optimalen Anpassung an das eingesetzte Mikrofon.

Fotostrecke: 4 Bilder Die Kombibuchsen können Mikrofon- oder Linekabel verarbeiten, die Mikrofoneingänge 5-8 lassen sich im Eingangswiderstand umschalten.

Die andere Hälfte der Geräterückseite bewohnen die beiden D-Sub-Anschlüsse für Lineein- und -ausgang (jeweils acht Kanäle), der separate Stereo-Monitorausgang, die beiden Ethernetanschlüsse, Wordclock In/Out, die insgesamt vier ADAT-Optical-Anschlüsse für maximal 16 Kanäle In und Out sowie ein Footswitch, der zum Ein- und Ausschalten des integrierten Talkbackmikros benutzt werden kann.

Um Samplingraten jenseits von 96 kHz zu realisieren, muss die höhere Samplingrate im Zusatzprogramm AVB Audio Configuration extra eingeschaltet werden. Da die Konfiguration für sehr hohe Samplingraten mehr CPU-Leistung in Anspruch nimmt, ist es sinnvoll, diese auch nur im Bedarfsfall einzuschalten.

Bedienmöglichkeiten des Avid Carbon

Bedient wird das Interface über zwei Encoder und einige farblich kodierte Taster auf der Frontseite. Während der linke Encoder der Vorverstärkung der analogen Eingangssignale zugeordnet ist, dient der rechte als Monitorcontroller für die Lautsprecher und für die Pegel der Kopfhörerwege. Zum aktuellen Zeitpunkt (Januar 2021) ist leider noch keine umfangreiche EuCon-Fernbedienung möglich.

Im Betriebszustand sind die Bedienelemente farblich gekennzeichnet. Eine EuCon-Einbindung ist zum testzeitpunkt noch nicht implementiert gewesen.
Im Betriebszustand sind die Bedienelemente farblich gekennzeichnet. Eine EuCon-Einbindung ist zum testzeitpunkt noch nicht implementiert gewesen.

Welche Software kommt mit Carbon?

Im Carbon-Produktpreis von etwa 4200 Euro ist zunächst einmal die DAW Pro Tools Standard im Wert von etwas mehr als 600 Euro enthalten. Dass Pro Tools Standard eigentlich ein I/O-Limit von 32 Kanälen hat, wollen wir an dieser Stelle mal nicht auf die Goldwaage legen. Carbon besitzt 34 gleichzeitig nutzbare Ausgänge und beweist damit höchstens, dass dieses I/O-Limit künstlich von Avid gesetzt ist.
Nach der aktuellen Avid-Terminologie ist dieses Pro Tools eine „subscription“, also ein Abonnement. Die Bezeichnung ist jedoch verwirrend: Die Lizenz kommt mit einem ein Jahr dauernden Upgrade- und Supportplan. Ist diese Zeit abgelaufen und man lizenziert nicht für ein weiteres Jahr, bleibt die Pro-Tools-Lizenz auf der zuletzt erreichbaren Version bestehen. Auch die gebundelten Drittanbieter-Plug-ins von Brainworx (bx_console N, _rockrack, bx_masterdesk), der McDSP 6050 Ultimate Channel Strip HD, Purple Audio MC77, die alle als AAX DSP arbeiten können, bleiben nach Ablauf des Lizenzjahres erhalten. Zusätzlich auch die vier gebundelten nativen Plug-ins: Arturia Rev Plate-140, Embody Immerse Virtual Studio, Native Instruments Vintage Organs und UVI Model D Piano. Ist der Lizenzzeitraum abgelaufen, bleiben aber nicht mehr alle Avid-Plug-ins erhalten, vor allen Dingen die Pro Serie. Das Erneuern des Updateplans zum Verlängern der Lizenz kostet derzeit zirka 200 Euro.
Addiert man die Preise der beigelegten Software, kommt man auf einen Gegenwert von über 2.000 Euro. Das ist vor allem für Einsteiger sehr attraktiv. Wer beim Kauf von Carbon bereits im Besitz einer Pro-Tools-(Ultimate)-Lizenz ist, kann sich entscheiden, ob er entweder die mit Carbon kommende Lizenz zusätzlich haben möchte oder ein einjähriges Renewal für die bestehende Lizenz. Wichtig: Die Laufzeit des Renewals beginnt nicht etwa mit dem Carbon-Kauf, sondern erst, wenn die aktuell laufende Lizenz ausläuft.

Beleuchtetes Avid-Logo des Carbon
Beleuchtetes Avid-Logo des Carbon

Strukturelle Veränderungen im Avid-Portfolio

Pro Tools Carbon ist mit der Hybrid Engine das innovativste Avid-Produkt seit der Einführung von TDM, es bricht aber auch den klassischen Unterschied zwischen Pro Tools Ultimate und Pro Tools Standard auf. Bislang war es immer so, dass die teureren Avid-Systeme wie HDX oder HD Native ausschließlich mit der teuren Ultimate-Variante von Pro Tools liefen. Carbon ist ein High-End-DSP-Produkt und kommt trotzdem „nur“ mit der Standardversion. Man kann das als Einschränkung betrachten, denn weniger bleibt schließlich weniger. Ich habe aber den Eindruck, dass Carbon vor allen Dingen ein Produkt für Musikschaffende mit Tracking-Rooms ist, die viele der zusätzlichen Ultimate-Features gar nicht benötigen, von dem 128-Spuren-Limit der Standardversion einmal abgesehen. Surround-Mixing, multiple Videospuren und erweiterte Automation benötigen überwiegend Anwender aus dem Post-Production-Bereich. Zu diesen strukturellen Veränderungen passt auch, dass mit Pro Tools Dezember 2020 endlich eine seit Jahren kritisierte Begrenzung gefallen ist: Besitzer einer Ultimate-Lizenz können einen weiteren Rechner mit einer Pro-Tools- oder Media-Composer-Lizenz als (Video)-Satelliten nutzen. Bis November 2020 war neben der Ultimate-Lizenz auch die Verwendung von Avid-HD-Hardware (Avid HD Native oder HDX) für diese Funktion erforderlich. Um Missverständnissen vorzubeugen: Carbon lässt sich natürlich auch mit der Softwarevariante Pro Tools Ultimate nutzen und bietet dann 384 Tracks plus zusätzliche Voice Packs (à 128 Tracks). Alle diese Extras sind aber aufpreispflichtig.
Mit Carbon ist Avid-DSP-Hardware erstmalig in einem mittleren Preissegment angekommen, das bislang vornehmlich von Firmen wie Universal Audio, RME, Apogee und so weiter beackert wurde. Gut so! Eine Modernisierung des Portfolios war dringend nötig.

Praxis

Die Hybrid Engine

Avid Pro Tools Carbon ist am ehesten mit dem deutlich teureren Pro Tools HDX aus der Avid-Produktfamilie zu vergleichen. Allerdings hat Carbon nur acht der DSPs, von denen 18 pro HDX-Karte verbaut sind. Dafür arbeitet Carbon aber auch anders, das Geheimnis heißt Hybrid Engine.
Avids neue Audioengine ist ein echter Paradigmenwechsel, denn die Architektur der Hybrid Engine ist deutlich flexibler als das klassische Design von HDX: Grundsätzlich arbeitet ein Carbon-System in Pro Tools und sogar parallel im Betriebssystem nativ. Alle Plug-ins werden auf der CPU des Mac berechnet, es sei denn, man hat den magischen Button in Pro Tools aktiviert:

Sobald der Button für den DSP Mode aktiviert ist, wird der betreffende Track in Pro Tools auf den Carbon-DSPs berechnet und kann mit einer Latenz von weniger als einer Millisekunde an den Ausgängen abgehört werden, unabhängig von der H/W Buffer Size, die in der Playback Engine eingestellt ist.
Sobald der Button für den DSP Mode aktiviert ist, wird der betreffende Track in Pro Tools auf den Carbon-DSPs berechnet und kann mit einer Latenz von weniger als einer Millisekunde an den Ausgängen abgehört werden, unabhängig von der H/W Buffer Size, die in der Playback Engine eingestellt ist.

Dann werden die Plug-ins des Tracks auf den DSPs berechnet und der gesamte Signalpfad zu den Ausgängen wird so präpariert, dass nur die minimalste Latenz entsteht. Befinden sich in dem betreffenden Signalpfad Plug-ins, von denen es keine AAX-DSP-Variante gibt, werden diese automatisch solange gemuted, bis der DSP Mode wieder außer Kraft gesetzt wird. Es ist jedoch möglich, einzelne Tracks von dieser automatischen Stummschaltung auszunehmen (Command-Click auf den DSP-Mode-Button) und sie damit in den „DSP Mode Safe“-Status zu versetzen. Zum Beispiel einen Reverb-Return, der dem oder den aufzunehmenden Tracks ein wenig Hall spendieren soll. Die Latenz auf so einem Kanal wird nur als zusätzliches Predelay wahrgenommen und ist damit tolerabel.
Sobald die Aufnahme im Kasten ist, können die Spuren wieder aus dem DSP-Modus entlassen werden. So werden die DSPs wieder frei und alle Plug-ins werden automatisch wieder auf AAX Native umgeschaltet.
Das geniale an dieser neuen Engine ist, dass man die DSPs nur dort einsetzen muss, wo man sie wirklich braucht: für das Monitoring während der Aufnahme oder für Hardware-Inputs/-Inserts. Und das Umschalten zwischen den DSP-Varianten und den nativen eines Plug-ins erfolgt automatisch, wenn man den Button betätigt. Theoretisch ließe sich dieses Verhalten mit einem HDX-System nachahmen, momentan jedoch nur in mühsamer Handarbeit pro Plug-in. Der magische DSP-Mode-Button taucht in Pro Tools bisher nämlich nur dann auf, wenn ein Carbon-Interface angeschlossen ist. Avid hat jedoch bereits angekündigt, dass es die Hybrid Engine im Jahr 2021 auch für HDX geben wird, wohl als Bezahloption.

Wieviel Leistung steckt in den DSPs?

Ich habe mir eine Recordingsession gebastelt, die die Möglichkeiten des Systems ausschöpft und 24 Spuren mit den Inputs des Carbon-Interfaces erzeugt, auf jedem Kanal das Avid Channelstrip Plug-in insertiert und vier Sends zu den Kopfhörerausgängen, sodass ich vier unabhängige Kopfhörermixes erstellen kann. Außerdem habe ich den Mix-Bus und die vier Kopfhörerausgänge jeweils mit einem Pro Limiter als Übersteuerungsschutz versehen. Für ein wenig Gewürz beim Aufnehmen habe ich drei Auxwege, zwei mit Hall (ReVibe II) und einen mit Delay (Tape Echo) erzeugt und korrespondierende Sends auf den einzelnen Tracks gesetzt. Am Ende war noch Platz für zwei Instanzen Eleven zur Gitarren-Amp-Simulation.

Mit den im Text beschriebenen Plug-ins habe ich die DSP-Leistung von Carbon ausgelastet. Im Bild sind die beiden Reverbs im DSP Safe Mode.
Mit den im Text beschriebenen Plug-ins habe ich die DSP-Leistung von Carbon ausgelastet. Im Bild sind die beiden Reverbs im DSP Safe Mode.

Diese Leistung ist für den Recordingalltag ausreichend, auch wenn man sich mit der DSP-Architektur erst ein bisschen vertraut machen muss. So ist es zum Beispiel deutlich ökonomischer, für den Hall zwei Instanzen ReVibe II zu benutzen, als ReVibe und ein anderes Hall-Plug-in. Denn zwei ReVibe-Instanzen passen auf einen DSP. Zwar zeigt die erste Instanz an, dass sie 57 Prozent des DSPs verbraucht, erzeugt man eine weitere Instanz, verbrauchen sie gemeinsam jedoch nur 95 Prozent des DSPs. Verwende ich ein anderes Hall-Plug-in, wird dieses in jedem Fall auf einem weiteren DSP berechnet. Die fünf eingesetzten Limiter teilen sich einen DSP, ebenso die 24 Channelstrip-Instanzen – das ist sehr effizient. Drei DSPs werden in meinem Beispiel für den Mixer verwendet, was vor allen Dingen den zahlreichen Sends geschuldet ist. Um die DSP-Ressourcen so clever wie möglich auszunutzen, muss man ein bisschen probieren und Erfahrung sammeln.

Wenn man das Carbon-System bis an seine Grenzen nutzt, muss man auf nützliche Extras wie AFL-/PFL-Solopfade verzichten.
Wenn man das Carbon-System bis an seine Grenzen nutzt, muss man auf nützliche Extras wie AFL-/PFL-Solopfade verzichten.

Klanglich sind die von mir verwendeten Plug-ins über jeden Zweifel erhaben. Der den früheren Euphonix-Pulten nachempfundene Channelstrip ist bei mir seit Jahren in allen Produktionen im Einsatz, klingt neutral und erledigt alle Standardaufgaben im Bereich Dynamics und EQ zu meiner Zufriedenheit. ReVibe II ist der beste algorithmische Hall aus dem Avid-Angebot. Er bietet alle klassischen Raumsimulationen in sehr guter Qualität. Der Pro Limiter gehört zu den besten Plug-ins der Gattung Brickwall-Limiter.
Insgesamt sind die acht DSPs für ein Tracking mit 24 Spuren ausreichend, wenn auch nicht zu üppig. Ich hatte nachher in meinem Setup noch einen DSP frei, weil ich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, die beiden Reverbs nativ im DSP Safe Mode laufen zu lassen. So ist noch Platz für eine dritte Gitarren-Simulation oder ein Auto-Tune Hybrid gewesen.

Wie gut ist die Latenz des Systems?

Die Latenz ist mindestens genauso gut, wie Avid-DSP-Systeme schon immer waren: Der Performer bemerkt keine Verzögerung auf seinem Kopfhörer. Laut Datenblatt verspricht Avid eine Latenz, die unter einer Millisekunde liegt. Ich habe es in der Praxis ausprobiert und das Carbon-System mit meinem HD-Native-System verglichen. Beim HD Native tracke ich mein Schlagzeugspiel mit einer Buffersize von 64 Samples, beim Carbon habe ich die Buffersize auf Rechner-schonende 1024 Samples gestellt. Obwohl ich mit den 64 Samples beim HD Native gut zurechtkomme, ist die Carbon-Systemlatenz doch noch einen kleinen Hauch geringer und angenehmer beim Spielen.

Fotostrecke: 2 Bilder Die Wandlertechnik in Pro Tools Carbon stammt vom sehr renommierten Unternehmen AKM.

Im Bereich Tracking ist Carbon mindestens genauso gut wie ein HDX-System, wenn man mit 24 Inputs auskommt. Avid behauptet sogar, dass die Carbon-Latenz noch geringer sei als bei HDX.

Durch die hybride Architektur sind Carbon-Sessions übrigens voll kompatibel mit Pro-Tools-Systemen, die keine DSP-Hardware verwenden – vorausgesetzt, man verwendet nur Avid-Plug-ins oder hat sich mit dem Empfänger der Session abgesprochen, welche Drittanbieter-Plug-ins auf beiden Systemen vorhanden sind.

Ein genauerer Blick auf die Hardware

Zu meinem großen Bedauern ist Carbon aktuell (Januar 2021) noch nicht über EuCon fernsteuerbar. Immerhin habe ich die offizielle Auskunft bekommen, dass daran gearbeitet wird. Und zwar, dass vor allem die Vorverstärkung der Preamps und die Monitoring-Sektion regelbar sein werden, sodass das Interface nicht unbedingt direkt neben dem Engineer platziert werden muss. Der eingebaute Lüfter von Noctua läuft zwar sehr gleichmäßig, ist meinen verwöhnten Ohren aber trotzdem zu laut, sodass ich das Carbon gerne in meine Studioküche/meinen Maschinenraum verbannen würde.

Fotostrecke: 3 Bilder Der eingebaute Lüfter im Carbon ist von der Premiummarke Noctua und läuft sehr gleichmäßig, ist mir persönlich für eine Aufstellung in Armweite aber doch ein bisschen zu laut.

Dank der nahtlosen Integration in Pro Tools kommt Carbon ohne spezielle Applikation, wie RME Total Mix oder Universal Audio Console, die den aktuellen Status der Hardware in einer Übersicht zeigt. So ist man aktuell immer auf die wenigen Bedienelemente auf der Frontseite des Carbon-Interfaces angewiesen, um sich durch den Status der einzelnen Inputs zu klicken. Das aufgeräumte und dank Farbgebung für die verschiedenen Pfade sehr geschmackvoll gestaltete Front Panel ist völlig ausreichend, wenn ich nur ein Signal aufnehme. Die Komplexität eines größeren Setups lässt sich leider nicht abbilden. Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass diese Übersicht per EuCon-Fernsteuerung nachgeliefert wird.
Ähnliches gilt auch für den Monitorcontroller-Bereich links neben den Kopfhörerbuchsen: Neben dem Stereo-Monitorausgang können die Lineausgänge 1-2 und 3-4 als zusätzliche Monitoranschlüsse verwendet werden, die sich über die Taster A, B und C umschalten lassen. Es gibt auch einen Stummschalter und ein Dimming für die Monitorwege. Das Ganze hat nur einen Haken: Das Interface muss direkt neben dem Benutzer stehen und dann kann der Lüfter schon ein bisschen stören.

Die Qualität der Hardware

Da ich gerade vom Front Panel sprach, die Qualität der beiden Endlosdrehregler und der beleuchteten Taster ist sehr gut und der Preisklasse entsprechend. Insofern ist an der Bedienung der Hardware und der gesamten Herstellungsqualität nichts zu meckern. Die Mikrofonvorverstärker sind rauschfrei und klingen sehr neutral. Einziger kleiner Kritikpunkt aus meiner Sicht ist die maximale Verstärkung: 60 dB bietet zum Beispiel auch mein RME FireFace 802 und das funktioniert für Standardanwendungen wie Gesangs- oder Sprachaufnahmen mit Kondensatormikrofonen sehr gut. Meine Focusrite-ISA-Vorverstärker können jedoch bis zu 80 dB verstärken, um schwachbrüstigen Mikrofonen wie einem SM7 von Shure oder Bändchenmikrofonen ein bisschen auf die Beine zu helfen. Aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau.
Die Line- und ADAT-Kanäle sind qualitativ unauffällig, also gut. Positiv bleibt zu erwähnen, dass sich die Lineeingänge im Pegel trimmen lassen, wenn man das wünscht. Die Kopfhörerausgänge liefern genug Pegel, um auch dem Drummer ausreichend auf die Ohren liefern zu können und sind in der Anzeige über dem Endlosdrehregler in unterschiedlichen Farben dargestellt, nachdem man den Kopfhörerbutton neben dem Drehgeber ausgewählt hat. So erkennt man nach ein wenig Eingewöhnung schon an der Farbe, welchen Kopfhörer man gerade regelt.
Zum Umschalten zwischen den Kopfhörern drückt man auf den Endlosdrehregler, mit einer smarten Besonderheit: Sofern kein Kabel in den betreffenden Kopfhörerausgang eingestöpselt ist, ist er nicht anwählbar. Für die analogen Eingänge gelten die gleichen Regeln, wenn auch nicht so ganz konsequent.

Zum Umschalten zwischen den Kopfhörern drückt man auf den Endlosdrehregler, mit einer smarten Besonderheit: Sofern kein Kabel in den betreffenden Kopfhörerausgang eingestöpselt ist, ist er nicht anwählbar. Für die analogen Eingänge gelten die gleichen Regeln, wenn auch nicht so ganz konsequent.
Zum Umschalten zwischen den Kopfhörern drückt man auf den Endlosdrehregler, mit einer smarten Besonderheit: Sofern kein Kabel in den betreffenden Kopfhörerausgang eingestöpselt ist, ist er nicht anwählbar. Für die analogen Eingänge gelten die gleichen Regeln, wenn auch nicht so ganz konsequent.

Oberhalb des Endlosdrehreglers wird die Verstärkung grün für einen Mic Pre, gelb für ein Line- und orange für ein HiZ-Signal dargestellt. Leider wird das bei der Anzeige der acht Inputpegel rechts daneben nicht fortgesetzt: Hier ist der ausgewählte Kanal immer grün, die anderen weiß. Ich hätte es besser gefunden, wenn man die Farblogik dort fortgesetzt hätte und eine kleine Attention-LED anzeigen würde, welcher Kanal gerade ausgewählt ist. Das würde für ein bisschen mehr Übersicht sorgen. Die beiden HiZ-Eingänge sind nur anwählbar, wenn ein Kabel eingesteckt ist und zusätzlich im Eingangswiderstand in fünf Stufen über den Button Z umschaltbar, der konsequenterweise nur dann leuchtet, wenn ein Kabel eingesteckt ist.

Fazit

Avid Pro Tools Carbon ist dank der Hybrid Engine sehr innovativ und ein Produkt, dessen Zielgruppe sich klar definieren lässt: Musikschaffende, die sich der Latenzproblematik entledigen wollen, ohne in einem zusätzlichen Programm des Audio-Interfaces fürs Monitoring sorgen zu müssen – beziehungsweise, die sich ein HDX nicht leisten wollen oder können.
Darüber hinaus ist es natürlich auch für jeden anderen Pro-Tools-Anwender sinnvoll, sofern fehlendes Surround-Mixing, das Limit auf 128 Spuren und ein Video in einer Session keine Rolle spielen.Pro Tools Carbon ist ein bisschen teurer als das noch verfügbare HD Native (mit der Thunderbolt-2-Box) mit einem HD-Omni-Interface, kann aber erheblich mehr, auch wenn es nicht erweiterbar ist. Das Zusammenspiel mit dem Betriebssystem ist endlich gut organisiert, sodass Audio aus anderen Programmen auch dann über Carbon laufen kann, wenn Pro Tools aktiv ist. Etwas schade finde ich, dass die Softwareumgebung noch nicht vollständig fertig ist. So gibt es ein wenig Nachholbedarf am Front Panel (mehr Funktionen für Fußschalter etc.) und die EuCon-Integration fehlt auch noch. Ich bin mir jedoch sicher, dass Avid die versprochene Funktionalität nachliefern wird und dann ist Carbon aus meiner Sicht noch mächtiger.
Wer einmal mit einem DSP-Pro-Tools gearbeitet hat und die Sorglosigkeit kennt, die einem das zum Thema Latenz beschert, wird verstehen, dass dieses Produkt von mir eine klare Kaufempfehlung bekommt, auch wenn ich durchaus meine Kritikpunkte habe. Viele davon betreffen jedoch Software und die kann sich ja zum Glück verbessern.

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • das günstigste Pro Tools mit DSPs
  • cleveres Hybrid-Konzept
  • solide Verarbeitung
  • sehr guter Klang der Preamps
  • viele Anschlüsse
  • Pro-Tools-Software-Lizenz enthalten
Contra
  • nicht erweiterbar
  • bislang keine Windows- und Eucon- Integration
  • minimal zu lauter Lüfter
Artikelbild
Avid Pro Tools Carbon Test
Für 4.199,00€ bei
Avid_Carbon_Test_5
Features und Spezifikationen
  • All-in-one-Paket aus Audio-Interface, DAW und Plug-ins
  • acht HDX-DSPs (ingesamt 2,8 GHz)
  • nahezu latenzfreies Monitoring
  • 24 Kanäle plus integriertes Talkback-Mikrofon bis 48 KHz (16 bis 96 KHz, 12 bis 192 KHz)
  • acht Mikrofoneingänge mit bis zu 60 dB Verstärkung, variable Impedanz für Kanäle 5-8
  • acht symmetrische Line-Eingänge (über Kombibuchse XLR/TRS oder D-Sub)
  • zwei unsymmetrische Instrumenteneingänge mit variabler Impedanz
  • maximal acht Analogeingänge gleichzeitig nutzbar
  • 10 analoge Ausgänge
  • 16 ADAT-Ausgänge bei bis zu 48 KHz (8 bis 96 KHz, 4 bis 192 KHz)
  • vier unabhängige Kopfhörerwege
  • Breite: 483 mm, Format 19“
  • Höhe: 44 mm, eine Höheneinheit
  • Tiefe: 335 mm
  • Gewicht: ca. 5 Kilogramm
  • Systemvoraussetzungen: Intel i5 oder besser empfohlen, 16 GB RAM, macOS 10.15.7 oder neuer, iLok erforderlich
  • Preis: € 4209,– (Straßenpreis am 18.1.2021)
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