Meine Stimme ist ein eigenwilliges Geschöpf. Manchmal kann ich ohne jegliche Müdigkeitserscheinungen acht Stunden lang singen, manchmal schaffe ich es, mich schon nach zwanzig Minuten stimmlich Schachmatt zu setzen. Es hat mich Jahre gekostet, herauszufinden, von welchen Kriterien diese wahnsinnig unterschiedliche Stimmausdauer abhängt. In diesem Feature möchte ich meine Erkenntnisse darüber mit euch teilen und habe sie mit Fachwissen von Bonedo-Autorin und Vocal Coach Ulita Knaus ergänzen lassen.
Stimmausdauer versus Stimmstress
Ich habe mich vor Gigs eingesungen, versucht mir genug Pausen zu geben, genug zu schlafen, vernünftig zu essen. Ich habe eine gute Gesangstechnik. Und trotzdem war ich selbst mit bester Vorbereitung nicht auf der sicheren Seite. Dass ich nicht auf meine Stimme zählen konnte, hat mich lange verunsichert, weil ich nicht wusste, was ich ändern soll. Manchmal habe ich schon unbewusst angefangen, den gesamten Auftritt auf den Moment zu warten, wenn meine Stimme wieder verschwindet. Das war kein schöner Zustand.
Die Lösung habe ich in fordernden Situationen (oder hat sie mich) gefunden, als ich vor ein paar Jahren ein neues Herzensprojekt gestartet habe. 10-tägige Songwritingsessions mit anderen Musiker/innen, gekrönt mit einem Liverecording, samt Publikum im Aufnahmeraum. All in. Kaum Schlaf. Raus aus der Komfortzone. Eigentlich prädestiniert für den stimmlichen Burnout. Aber … meine Stimme saß, wie das berühmte Drei-Wetter-Taft. Selbst wenn wir am Tag der Aufnahme noch mehrere Stunden geprobt haben. Das war völlig unerwartet und hat mich zum Nachdenken gebracht.
Von Session zu Session habe ich angefangen zu analysieren, was die Gründe für meine plötzliche Stimmausdauer sein könnten und habe endlich herausgefunden, woran es liegt.
Tiefe Entspannung
Ich bin viel empfindlicher, als ich dachte, was den Kontext, in dem ich singe, angeht. Stimmt das Umfeld und ist die Arbeitsstimmung gelöst, entspanne ich nicht nur oberflächlich, sondern durch und durch. Körper wie Kopf. Diese tiefe Entspanntheit bringt meine Stimme ins Gleichgewicht. Ich habe dann innerlich genug Raum, in dem sich meine Stimme ausbreiten kann. Diesen Zustand in einer Drucksituation herzustellen fällt mir sehr schwer. Und wenn ich komplett entspannt bin, brauche ich sogar kein Einsingen, sondern kann jederzeit loslegen.
Die Stimme hören
Sich selbst präzise zu hören, und das in allen Lagen, ist für mich das A und O, um stimmlich lange viel leisten zu können. Ich liebe Wedges und bin im Rockbandkontext groß geworden. Daher kann ich also auch mit Situationen umgehen, in denen ich mich nicht ideal höre. Seitdem ich aber poppiger und tiefer singe, habe ich festgestellt, dass ich dazu tendiere, mich in den Tiefen schnell fest usingen, da ich durch meine Rockprägung immer noch versuche, meinen Tönen Schub zu geben. Das funktioniert zwar in der Höhe, aber nicht in der Tiefe. Ich dachte immer, Höhe sei riskant, wenn ich meine Stimme nicht gut genug höre, aber das stimmt nicht. Bei mir ist die Tiefe empfindlich. Je besser ich in der unteren Lage meinen Stimmansatz höre, desto weniger unbewussten, unnötigen Druck gebe ich auf meine Stimme.
Positive Alles-Egal-Haltung beim Singen
Wenn ich mich von den Menschen, mit denen ich Musik mache, wirklich aufgehoben fühle, meistert meine Stimme jede Situation. Ich hätte nie gedacht, welche Rolle eine positive Alles-Egal-Haltung spielt und dass meine Stimme ein emotionaler Seismograf ist. Ich kann stimmlich einen Marathon laufen, wenn ich nichts leisten muss, aber alles geben darf.
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Spaß beim Singen und Musikmachen
Und vergessen wir den Spaß nicht: Rumexperimentieren, musikalisch und stimmlich auf Entdeckungsreise gehen, Kind sein, eine Musiker/innengang um sich haben, All-in gehen. Sich wirklich auf eine Situation einzulassen, bringt eine Leichtigkeit mit sich, die die Stimme trägt und mangelnden Schlaf und andere Dinge bestens wettmacht.
Stimmstress im Berufsalltag
All das oben genannte ist oft schwer im Sänger/innenalltag durchzuhalten. Nicht alle Gesangssituationen können so ideal wie meine Songwritingsessions sein. Als Bandleader/in lastet rund um Gigs und Studiosessions viel Arbeit, Druck und Zeitmangel auf unseren Schultern. Was ich aber gelernt habe ist:
– in fordernden Situationen auf gutes Hören beim Singen extrem zu achten.
– bei Stress möglichst auch mal fünfe gerade sein zu lassen.
– mir einzugestehen, dass ich empfindlicher bin, als ich wahrhaben will.
– möglichst nur mit Leuten zusammenzuarbeiten, die ich mag und denen ich vertraue.
Psychologisch hilft mir schlicht die Erfahrung, dass ich jetzt weiß, dass meine Stimme (eigentlich) immer kann.
Und das sagt Expertin Ulita Knaus dazu:
“Generell spricht nichts dagegen, einen ganzen Tag lang seine Stimmlippen zu benutzen. Dabei ist es eigentlich egal, ob man singt oder spricht. Die Stimmlippen selbst haben kein Problem damit. Vorausgesetzt die vielen Muskeln drum herum machen das, was sie sollen und nicht mehr. Doch genau das passiert oft unbewusst. Das perfekte Zusammenspiel vieler Muskeln im Körper ermöglicht der Stimme gleichzeitig Flexibilität und Stabilität. Wenn das gelingt, funktioniert die Stimme auch noch nach acht Stunden Singen tadellos. Doch wie Catharina hier beschrieben hat, gibt es oft viele Gründe, warum die muskuläre Spannung beim Singen aus der Balance kippt. Und das macht sich sehr schnell im Kehlkopf bemerkbar.“
Die Taschenfalten
Unter Stress neigen wir Menschen generell zu sogenannten Fehlspannungen. Wenn unsere Muskeln und Faszien auf Stress mit Anspannung reagieren, verhindern sie die weichen fließenden Bewegungen unseres Körpers. Insbesondere die kleine wulstige Struktur, die paarweise direkt über den Stimmlippen sitzt, verursacht durch Verengung öfter mal Heiserkeit und langfristig sogar Stimmschwellungen. Das sind die sogenannten Taschenfalten (auch falsche Stimmlippen genannt). Ihre Aufgabe liegt eigentlich darin, den Eingang der Luftröhre zu beschützen. Mit ihnen hält man die Luft an. Auch wenn wir wütend sind, sorgen sie dafür, dass unsere Stimme einen aggressiven Klang bekommt. Und wenn wir auf dem Klo ein sehr großes Geschäft erledigen müssen, helfen die Taschenfalten durch ihren Druck, die Kraft nach unten zu lenken.
Stress im Kopf
Leider sind die Taschenfalten auch sonst sehr schnell zur Stelle und verhindern das freie Schwingen der Stimmlippen. Eben dann, wenn wir im Kopf Stress bekommen, uns unwohl fühlen und negative Glaubenssätze hochkommen. Das können Wahrnehmungen und Sätze sein wie: „Ich höre mich nicht gut genug“, „Was denken die anderen Musiker von mir?“, „Ich habe Angst, dass ich nicht gut genug bin“, „Ich habe noch so viel zu erledigen“, „Meine Verantwortung ist groß und sitzt mir wie eine Last auf den Schultern“, „Ich hatte zu wenig Schlaf“. Meistens nehmen wir diese Gedanken nicht wahr. Sie spulen sich in einer Endlosschlaufe in unserem Kopf ab, ohne dass wir es merken.
Ja, wir glauben diese Gedanken und sind dadurch in einem Zwiespalt. Wir möchten am liebsten weg und irgendwie die unangenehmen Gefühle möglichst schnell loswerden. Aber wir können nicht weg, weil wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen. Dieser innere Widerstand, gegen das, was ist, versetzt uns emotional in einen schwierigen Zustand, der uns die Möglichkeit nimmt, uns frei, offen und neugierig in die jeweilige Situation zu stürzen. So wie ein Kind es tun würde. Oder so, wie wir uns verhalten würden, wenn wir uns pudelwohl fühlten, weil drum herum alles so läuft, wie wir uns das wünschen.
Was passiert im Gehirn?
Im Gehirn werden bei anhaltenden negativen Gedanken Areale aktiviert, die uns in ein Gefühl von Unsicherheit versetzen. Im schlimmsten Fall bekommen wir vor lauter Angst Fluchtimpulse. Unser Geist geht voran und der Körper folgt. Das bedeutet, dass entsprechend unseres emotionalen Zustandes sich unsere Muskeln entweder in eine gute Balance bringen oder verkrampfen. Diese Fehlspannungen, die überall im Körper stattfinden, können dazu führen, dass der Stimmapparat unflexibel und instabil wird. Es fällt uns dann schwer, die richtige Spannung zu halten und gleichzeitig unnötige Anspannungen zu vermeiden.
Fühlen wir uns aber sicher und die Stimmung ist freudig aufgeregt, schüttet das Gehirn beim Singen Hormone wie Dopamin, Serotonin, Oxytocin und Endorphine aus. Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin werden gedämpft. Der Blutdruck und die Atmung normalisieren sich. Das wirkt sich auch positiv auf die muskuläre Spannung aus.
Mit diesen glücksbringenden Hormonen (DOSE – Dopamin, Serotonin, Oxytocin, Endorphine) fühlen wir uns dann leicht wie ein Kind.
In Catharinas Fall überwogen die positiven Gedanken und Gefühle in diesem Projekt. Die Verantwortung und die Ambitionen waren nicht weg, aber durch die Wertschätzung der anderen Musiker/innen und das Gefühl des Aufgehobenseins konnte sie sich entspannen und ihrer kindlichen Essenz Raum geben. Eine positive Alles-egal- Haltung war dadurch möglich und die stressvollen Gedanken konnte sie getrost loslassen.
Was kann man als Sänger/in gegen Stress tun?
Um einen hohen Cortisol- und Adrenalinpegel zu senken, sollte man einerseits auf ausreichende Zufuhr von Vitaminen und Mineralien achten sowie Zucker, ungesunde Fette, Alkohol und Koffein möglichst meiden und tägliche Meditations- und Achtsamkeitsübungen einbauen. Auch leichte Sportarten wie Yoga und Tai Chi tragen dazu bei, dass sich das Stresslevel senkt.
Schlechtes Monitoring und zu viel Stress vor dem Auftritt lassen sich schneller beheben. Um negative Glaubenssätze aus der Kindheit, die sich in unserem Gehirn verankert haben, umzuformen, müssen wir uns längerfristig damit auseinandersetzen. Denn der einzige Weg raus aus der Spirale geht über unser Bewusstsein. Das Analysieren von Gefühlen und Untersuchen von Glaubenssätzen befreit uns von immer wiederkehrendem Stress. So können wir es schaffen wieder schnell in einen freien und offenen Geist zu kommen, der es uns erlaubt so zu sein, wie wir wirklich sind.
Neugierige, fröhliche und kreative Menschen mit Superkräften.
Wellenstrom sagt:
#1 - 26.06.2023 um 20:45 Uhr
Aus eigener leidvoller Erfahrung kann ich nur dazu raten, sich so viel Limits zu setzen in Sachen Gesang, wie nur möglich. Zumindest für den Gesang im Studio empfehle ich, die Anzahl der Takes so gering wie möglich zu halten. Die ausdrucksstärksten Gesangsaufnahmen sind eh oft die frühen, und wenn mal hier oder da knallscharf was daneben ist, dann ist die punktuelle Verwendung von Melodyne keine Sünde. Schlimmer ist es, vermeintlichen Perfektionismus walten zu lassen, und auf Deubel komm raus die Stimmbänder überzustrapazieren.