Die Auflösung der kanadischen Progrock-Supergroup war eigentlich schon im Jahr 2018 beschlossene Sache, zudem wurde das vermeintlich letzte Kapitel aufgrund des überraschenden Todes von Drummer Neil Peart am 7.1.2020 auf tragische Weise endgültig geschlossen. Nun jedoch gaben die verbliebenen Rush-Musiker, Bassist/Sänger Geddy Lee sowie Gitarrist Alex Lifeson, bekannt, dass sie mit niemand Geringerem als der deutschen Ausnahme-Schlagzeugerin Anika Nilles noch einmal ein Tournee-Comeback wagen möchten. Herzlichen Glückwunsch, liebe Anika! Diese Ereignisse sind für uns ein willkommener Anlass, die Bassline des Rush-Klassikers “Tom Sawyer” einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Rush: Die kanadischen Meister des Progressive Rock
Kaum eine Band hat die Rockwelt so nachhaltig geprägt wie Rush. Gegründet im Jahr 1968 in Toronto, Kanada, entwickelte sich das Trio zu einer der einflussreichsten Progressive-Rockbands der Musikgeschichte. Die klassische Besetzung bestand aus Geddy Lee (Bass, Gesang, Keyboards), Alex Lifeson (Gitarre) und Neil Peart (Schlagzeug, Songtexte) – drei Musiker, deren Zusammenspiel über Jahrzehnte Maßstäbe für Virtuosität, Kreativität und technische Perfektion setzte.
Ursprünglich gründeten Lee und Lifeson Rush gemeinsam mit Drummer John Rutsey, der die Band nach dem ersten Album verließ. Mit dem Einstieg von Drummer Neil Peart im Jahr 1974 begann die Ära, die Rush legendär werden lassen sollte. Peart brachte nicht nur ein außergewöhnlich präzises und komplexes Schlagzeugspiel mit, sondern auch tiefgründige Texte, die von Science-Fiction, Philosophie und existenziellen Fragen inspiriert waren.
Musikalisch verbanden Rush den kraftvollen Sound des Hardrock mit den komplexen Strukturen des Progressive Rock. Ihre Songs waren häufig von ungeraden Taktarten, langen Instrumentalpassagen und einer beeindruckenden technischen Finesse geprägt. In den 1980er-Jahren experimentierte die Band verstärkt mit Synthesizern, ohne dabei ihren charakteristischen Stil zu verlieren. Alben wie „2112“ (1976), „Permanent Waves“ (1980) oder „Moving Pictures“ (1981) gelten heutzutage als Meilensteine des Genres. Vor allem „Moving Pictures“ brachten Rush ihren größten kommerziellen Erfolg – mit Klassikern wie „Tom Sawyer“, „Limelight“ oder dem Instrumentalstück „YYZ“, das bis heute als Paradebeispiel für musikalische Präzision gilt.
Doch Rush waren immer mehr als nur eine Rockband; sie verkörperten das Ideal des musikalischen Fortschritts – kompromisslos, eigenwillig und stets bereit, neue Wege zu gehen. Ihre Werke beeinflussten unzählige Musikerinnen und Musiker, von Metalbands wie Dream Theater und Metallica bis hin zu Indie-Künstlern. 2013 wurde Rush in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen – eine längst überfällige Anerkennung für über vier Jahrzehnte musikalischer Innovation.
“Tom Sawyer” – Originalvideo
Zu Beginn schauen und hören wir noch einmal – wie immer – in das Originalvideo des behandelten Songs hinein – bitteschön:
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Mehr Informationen“Tom Sawyer” – Odd Meters / Rhythmik
Der Song startet im A-Teil mit einer simplen Rockbassline, die das tiefe E als Pedalton nutzt. Dies mündet im B-Teil in einem Unisonoriff mit der Gitarre, welches eine Art Erkennungsmelodie von “Tom Sawyer” ist. Bis hierher ist alles rhythmisch überschaubar – schon fast Mainstream!
Aber zu früh gefreut, denn in der Mitte des Songs packen Rush richtig den Dampfhammer aus. Zunächst wechselt Bassist Geddy Lee zum Synthesizer und stellt ein melodisches Riff im 7/8-Takt vor (Teil D), über das nach zehn Takten das Gitarrensolo folgt. Dafür wechselt Geddy dann wieder zurück zum E-Bass und übernimmt die Synthie-Stimme. Die viertaktige Phrase endet jeweils mit einem 13/16-Takt.
Ich wiederhole: 13/16-Takt! Aber was haben wir auch anderes von Rush erwartet? Keine Sorge, das Ganze ist einfacher als gedacht. Wie meistens bei ungeraden Takten (den sogenannten “Odd Meters”) geht es hier mehr um die Melodie des Riffs, als um die Mathematik dahinter. Ich bin überzeugt, dass dies auch bei den drei Kanadiern so gehandhabt wurde und jemand einfach die Idee für dieses coole Riff hatte – am Ende war es dann eben 13 Sechzehntel lang!
So sollte man es auch betrachten, denn mit Zählen kommt man beim 7/8-Takt in der Regel noch ganz gut hin, aber bei einen 13/16-Takt würde diese Angelegenheit wohl eher mechanisch und verkopft werden. Deshalb sollte man die Sache eher von der melodischen Seite aus betrachten. Gleiches gilt übrigens auch für den 15/6-Takt, der vom Gitarren- ins Drumsolo führt.
“Tom Sawyer” – Basssound
Im oben verlinkten Video zu “Tom Sawyer” kann man Geddy mit seinem schwarzen Rickenbacker-Bass sehen, tatsächlich kam bei der Aufnahme aber sein “Number One” zum Einsatz. Dies ist der berühmte schwarze Fender Jazz Bass aus dem Jahr 1972, den er für nur 200,- Dollar in einem Pfandhaus kaufte und der dann auch als Vorlage für das “Geddy Lee Signature Model” diente. So erzählt es der Meister persönlich in einem Interview.
Bzgl. der Verstärkung “röhrt” es ordentlich – mein Tipp wäre ein mikrofonierter Röhrenverstärker, welcher zum einen fett klingt und zum anderen wunderschöne durchsetzungsstarke Mitten besitzt, aber eben auch leicht verzerrt, um für den nötigen Biss im Soundkontext zu sorgen. Die angesprochene Verzerrung klingt für meine Ohren jedenfalls mehr nach einem Amp als nach einem Overdrive-, Distortion- oder Fuzz-Pedal.
Ein weiterer Bestandteil von Geddys Sound entsteht dadurch, dass er meist in der Nähe des Halses anschlägt. Hier besitzen die Saiten weniger Spannung und es kommt zu einer größeren Schwingungsamplitude. Das klingt zum einen bauchiger und voluminöser, zum anderen führt es auch zu mehr metallischen Geräuschen, da die Saite häufiger auf die Bundstäbe aufschlägt. Für einen aggressiven Rocksound ist diese “Unsauberkeit” durchaus ein toller und gewünschter Effekt!
„Tom Sawyer“ – Bass TAB / Noten / Playback
Hier findet ihr die kompletten Noten, TABs sowie die Bass-Audiospuren, die ich für diesen Workshop aufgenommen habe.
Noch einmal Hut ab vor dem musikalischen Werk von Neil Peart, Geddy Lee und Alex Lifeson, die mit Rush ein einzigartiges Vermächtnis hinterlassen haben, welches sicher noch viele Generationen an Musiker/innen inspirieren wird!
Bis zum nächsten Mal, euer Thomas Meinlschmidt