Ein letztes Mal Spotify Wrapped. Diesen Wunsch äußern derzeit viele Musikschaffende und auch immer mehr Hörer*innen. Einer von ihnen ist Ruben Roeh (Gitarrist Cosmic Latte/Dozent Hamburg School of Music), der sich öffentlich gegen das aktuelle Geschäftsmodell des Streaming-Giganten positioniert. Wir haben mit ihm über die Stimmung in der Szene, über Perspektiven für Artists und über die Frage gesprochen, wie es mit Spotify weitergehen könnte.

Dass die Diskussion Fahrt aufnimmt, liegt nicht zuletzt an der erneuten Preiserhöhung des Anbieters sowie an der Kritik an einzelnen unternehmerischen Entscheidungen im Umfeld des Konzerns, die branchenweit Debatten ausgelöst haben.
Als du das erste Mal Spotify genutzt hast, welche Möglichkeiten und Hoffnungen hast du in der App gesehen?
Ich weiß nicht wirklich, ob ich irgendwelche konkreten Hoffnungen an die Plattform hatte. Bevor ich meine erste Streaming-Subscription abgeschlossen hatte, gehörte ich noch zur „Generation Bearshare“, die Musik illegal gedownloadet hat. Ironischerweise war dieses vermeintlich kriminelle Modell aus meiner Sicht fairer gegenüber den Künstler*innen. Ich habe mir so einen Vorgeschmack geholt und habe dann die CDs der Bands, die ich wirklich mochte, gekauft und gehört und bin nicht zu knapp auf deren Konzerte gegangen. Tatsächlich habe ich Spotify über viele Jahre ähnlich genutzt – um mir Appetit auf mehr zu machen.

Du hast dich öffentlich gegen den Anbieter positioniert. Was war der Auslöser?
Die Liste Spotifys Abscheulichkeiten ist lang und mittlerweile gut dokumentiert. Ich glaube nicht, dass es den einen Auslöser für mich gab. Auch bevor Daniel Eks Investitionen in militärische KI-Technologien und der bewusste Einsatz von KI zur Generierung von Musik sowie das Ersetzen echter Songs in Playlists mit eben diesen öffentlich bekannt wurden, war mir wie vielen Musikschaffenden klar, dass sein Unternehmen der Musik ausschließlich schadet. Alle Entwicklungen der letzten Jahre zerstören nicht nur eine wichtige Einnahmequelle für Musiker*innen, sondern greifen auch die Musik an sich an. Je gleichförmiger der Content ist, den die User*innen konsumieren, desto leichter sind Künstler*innen, die für ihre Arbeit selbstverständlich entlohnt werden wollen, durch für Spotify mittelfristig kostengünstigere KI-Inhalte zu ersetzen. User*innen merken den Unterschied schon lange nicht mehr, weil die gezielte Ausspielung anspruchsloser Inhalte ihre Hörgewohnheiten bereits dahingehend manipuliert hat.
Man darf Spotify oder DSPs im Allgemeinen aber nicht die alleinige Schuld an dieser Entwicklung geben. Die Majorlabels, die überwiegend von der aktuellen Musiklandschaft profitieren und absolut die Möglichkeit hätten, Spotify Einhalt zu gebieten, tun dies im eigenen Interesse genauso wenig. So haben sie beispielweise Vorstöße in Richtung eines echten User-Centric Payment Models blockiert, welches zu einer Umverteilung in Richtung kleiner und mittelgroßer Bands führen und die Monopolstellung großer Acts wie Ed Sheeran, Taylor Swift und Co. angreifen würde.
Wie reagiert dein Umfeld (Kolleg*innen, Fans) auf deine Kritik?
Das Feedback ist durchaus gemischt. Ich habe das Gefühl, viele Kolleg*innen wollen diese Realität nicht wahrhaben, weil sie an dem Geschehen partizipieren wollen und nicht glauben, an den Verhältnissen etwas ändern zu können. Da mögen sie zwar Recht haben, aber so versucht jede*r
verzweifelt ein ausreichend großes Stück vom Kuchen zu ergattern und trägt mit dieser egoistischen Kurzsichtigkeit zum Erhalt dieses grotesken Systems bei. Ich muss allerdings gestehen, dass mich dieses Jahr erheblich mehr laute Stimmen denn je erreicht haben, die die Nase allesamt gestrichen voll haben. Vielleicht lohnt es sich, die Flinte noch nicht ins Korn zu werfen.
Viele Artists belastet das geringe Einkommen über Streaming. Wie gehst du damit um?
Streaming ist schlicht und ergreifend keine relevante Einkommensquelle und ich habe es auch nie als solche betrachtet. Um Mindestlohn zu erwirtschaften, müssten pro Person über 600.000 Streams monatlich auf Spotify erreicht werden. Selbstverständlich muss man als Musiker*in nicht allein von Streamingumsätzen leben, aber das steht dennoch in keinem Verhältnis. Ich glaube für viele Künstler*innen ist klar, dass man den Hörer*innen seine Musik auf diesem Wege mehr oder weniger entgeltlos (für sich selbst zumindest) zur Verfügung stellt und hofft, bei Gefallen auf anderem Wege (Merchkäufe, Konzertbesuche, etc.) für seine Arbeit bezahlt zu werden.
Glaubst du (auch bekannte) Musiker*innen kommen langfristig ohne andere Einnahmequellen wie Crowdfunding aus?
Das Problem der aktuellen Entwicklungen ist die Schere, die wie in vielen anderen Gesellschaftsbereichen bewusst herbeigeführt wird. Wirklich große Bands und Künstler*innen sind auf Streamingumsätze grundsätzlich nicht angewiesen und nehmen dadurch auch keinen relevanten Schaden. Die Grenze zwischen diesen und dem betroffenen Mittelfeld ist allerdings viel weiter oben anzusiedeln, als man vielleicht annehmen würde. Wenn selbst eine Kate Nash öffentlich bekennt, dass sie sich nicht mehr wirklich leisten kann, auf Tour zu gehen, weil an allen Ecken Einnahmequellen wegbrechen und sie das Unterfangen via Only Fans finanzieren muss, ist das krass. Diese Umverteilung zugunsten der ganz Großen konsolidiert den Markt in den Händen Weniger und zerstört im Eiltempo die Vielfalt der Musik.
Was wäre aus deiner Sicht eine faire Bezahlstruktur? Gibt es eine Alternative mit besserer Vergütung für die Kunstschaffenden?
Das von Deezer mal beäugte und bereits eingangs erwähnte User-Centric Payment Model, das an den Industriegiganten gescheitert ist, wäre ein Anfang. Dem zufolge sollten die monatlichen Gebühren, die ein User an die Plattform entrichten prozentual zwischen nur den Künstler*innen aufgeteilt werden, die eben dieser User in dem Monat auch tatsächlich gehört hat. Stattdessen werden aktuell alle Beiträge in einem Topf zusammengetragen und dann entsprechend der Gesamtstreaminganteile verteilt.
Sprich: Ob ich beispielsweise Taylor Swift höre oder nicht, sie bekommt prozentual gesehen einen nicht unerheblichen Teil meines Geldes, weil ihre Songs einen entsprechend großen Anteil der Gesamt-Streams aller User*innen ausmachen. Aber warum sollte sie User*innen zur Kasse bitten dürfen, die ihre Musik überhaupt nicht hören? Natürlich, weil sie viele Hörer*innen auf die Plattform treibt und so Spotify die Kasse füllt. Das User-Centric Payment Model flächendeckend und verpflichtend anzuwenden, wäre meiner Meinung nach ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Inwiefern beeinflusst Spotify das künstlerische Arbeiten für dich und Andere? (z.B. Songlänge, Struktur, Release-Strategie)
TikToks Hang zur kürzest möglichen Aufmerksamkeitsspanne hat vermutlich nicht weniger Schaden angerichtet, aber Spotify hat neben der Hörgewohnheit der User*innen sicher auch den kreativen Prozess der Musikschaffenden geprägt. Mit Cosmic Latte weigern wir uns zwar gänzlich, darauf einzugehen, aber ich habe als Musiker schon in mehr als einer Songwriting Session gesessen, in der als erster Tagesordnungspunkt der Laptop mit einem Spreadsheet ausgepackt wird, in dem aktuelle Spotify Trends dokumentiert sind. 37% der Top 100 featuren aktuell einen Trapbeat? Den braucht unser Song auch! 44% finden in einer Temporange von 108-116 BPM statt? Muss unser auch! 28% sind in A Moll? Das sollte unser auch sein! (Fiktives Beispiel) Was das mit Kunst oder Musik zu tun haben soll, weiß ich bei bestem Willen nicht.
Was Künstler*innen zu diesem Vorgehen treibt, ist aber kein Geheimnis: Spotify organisiert Tracks algorithmisch in Playlists, die sich durch möglichst wenig Veränderung auszeichnen. Startet man einen Song und diesem folgen dann 30 arg Unterschiedliche, riskiert die Plattform ja bei jedem, dass User*innen dieser nicht gefällt und man abschaltet. Ziel ist aber natürlich, Hörer*innen möglichst lange zu binden. Das erreicht man, indem man auf Gleichförmigkeit setzt und diese Qualität schon im Schaffensprozess belohnt – ganz im Gegensatz zu Freunden oder Familie, die vielleicht auch mal eine gewagte Empfehlung aussprechen, in der Hoffnung, einen von den eigenen Favorites überzeugen zu können. Das Versprechen der „Discovery Page“ von Spotify hingegen ist schlichtweg eine Lüge. Wer sich ausschließlich da seine Empfehlungen abholt, dem entgeht ein unschätzbarer Reichtum an Musik und das hat System.
Wie ist es deiner Meinung nach zu dieser öffentlichen „#ByeByeSpotify“- Bewegung gekommen?
Ich sehe aktuell leider noch keine ausreichend starke Bewegung dieser Art. Ich glaube wir als Musikschaffende sehen – unterstützt durch den algorithmischen Filter der sozialen Medien – primär, was wir sehen wollen und befinden uns natürlich in einer Bubble, für die es hier um nicht weniger als ihre Existenz geht. Da wirkt der Aufschrei traumhaft groß! Unter reinen User*innen herrscht hingegen leider noch viel zu wenig Bewusstsein für die Langzeitfolgen dieser Entwicklungen. Man liest zwar vermehrt auch außerhalb der Musikszene von Spotifys oder Daniel Eks Machenschaften, aber da ist noch reichlich Luft nach oben.
Würdest du sagen, Spotify interessiert sich für die Musikszene?
In keiner Form, nein. Spotify ist ausschließlich an Profitmaximierung und Monopolisierung des Markts interessiert und hat dies erstaunlich wirksam erreicht. Den bestmöglichen Beweis liefert das Unternehmen mit seiner Partnerschaft mit dem Musik-KI-Anbieter Suno ja selbst. Schließlich ist deren erklärtes Ziel, das Musikmachen, welches laut CEO Mikey Schulman der lästigste Teil des Musikerdaseins ist, abzuschaffen und durch Software zu ersetzen. Der Herr muss irgendwann in seinem Leben wohl mal eine sehr gemeine Geigenlehrerin gehabt haben und ist von seinen Eltern nicht ausreichend umarmt worden. Daniel Ek selbst tweetete im Mai 2024, die Kosten der Musikproduktion wären quasi null. Miete und Essen sowie vielleicht das Spotify Abo der Menschen, die Musik machen, sind ihm da scheinbar nicht in den Sinn gekommen.
Was müsste Spotify ändern, um dich als Nutzer (zurück) zu gewinnen?
Als User bringt mich nichts zu dieser Plattform zurück. Jedwede Änderung unter Druck der Allgemeinheit wäre offensichtliche und rein unternehmerisch motivierte Schadensbegrenzung, die jeder moralischen Integrität entbehrt.
Als Musikschaffender ist die Rechnung nicht ganz so einfach. Mittlerweile haben ja auch schon namenhafte und gestandene Bands Spotify ihre Musik entzogen, aber insbesondere kleinere Bands nähmen sich durch ähnliche Konsequenz einen großen Teil ihrer Hörerschaft. Meine Bandgenossen und ich ringen nicht erst seit gestern mit der Frage, ob wir die Musik von Cosmic Latte von der Plattform entfernen sollten. Richtiger anfühlen würde es sich zweifellos und direkte Verluste hätten wir aufgrund der lächerlichen Payouts auch nicht zu befürchten, aber wir machen uns keine Illusionen, auf die Art und Weise auch nur einen Nutzer zum Wechseln zu bewegen. Unsere Musik verschwände klammheimlich aus deren Kosmos und mit ihr auch die Hoffnung, sie mal auf einem Konzert zu treffen und ihnen unsere Songs präsentieren zu können. Dieser Konflikt plagt derzeit sehr viele Bands und Solokünstler*innen.
Was wäre der beste Weg für Artists gemeinsam Veränderungen zu wirken?
Leider wäre der erste Schritt sich darüber einig zu werden, dass sich überhaupt etwas verändern muss. Ich erlebe in meiner Dozententätigkeit eine neue Generation von Musiker*innen, die mit diesem Modell aufgewachsen ist und die wahnsinnig viel Mühe investiert, um sich dem anzupassen und ihm zum Trotze zu bestehen. Da stürzen sich bestimmte Elemente aus der Industrie natürlich drauf, weil es ihnen hilft, weiter Inhalte zu liefern, ohne sich mit wehrhafteren Kolleg*innen auseinandersetzen zu müssen oder unter deren Boykott zu leiden. Ich muss Darwin hier leider widersprechen, nicht allem muss man sich anpassen. Manches gehört bekämpft.
Welche Alternativen gibt es und welche nutzt du?
An Alternativen mangelt es nicht. Qobuz führt das Feld in puncto Bezahlung pro Stream momentan an und hat sich damit meine Gunst erkämpft, aber auch Tidal, Deezer, Apple Music und viele andere lassen Spotify in der Hinsicht alt aussehen. Leider verblassen auch deren Ausschüttungen neben physischen Verkäufen und könnten uns auf keinen Fall tragen. Dennoch zeigen auch die Analytics und Abrechnungen meiner Band Cosmic Latte, dass der Großteil der Streams nach wie vor via Spotify generiert wird und das, obwohl wir uns als Teil einer Nische verstehen, in der man User*innen vermutet, welche den Zusammenhang zwischen unserer Überlebensfähigkeit und ihrer Bereitschaft, für unsere Musik Geld auszugeben, verstehen.
Leider ist dies oft nicht der Fall. Eine echte Veränderung, welche Künstler*innen wirklich angemessen bezahlt, ist nicht ohne einen erheblichen Verzicht auf Seiten der User*innen möglich. Ich denke, dass jedem Hörer zu jeder Zeit Zugriff auf jeden Song der Musikgeschichte zu bieten nicht mit fairer Vergütung vereinbar ist und der Wunsch, über diesen Luxus zu verfügen, ist leider einzig Ausdruck untragbarer Maßlosigkeit.























