Bevor wir uns dem eigentlichen Test des Savant Audio Labs Quantum 2772 Evolution widmen, gibt es einen „kleinen“ Exkurs: Die 80er waren bekanntermaßen das Jahrzehnt des gelebten Exzesses; und das natürlich auch bei der Verwendung von künstlichem Hall. Künstlich vor allem deshalb, weil er im weitesten Sinne elektronisch erzeugt wurde. So manch ein Reverberator aus der Zeit war „künstlicher“ als andere, was auch den „Bigger than life“-Sound der Ära erklärt, wie wir noch sehen werden.
Die meisten denken nun an Lexicon, und das nicht zu Unrecht: Wie alle Geräte der frühdigitalen Epoche – und faktisch auch der heutigen – versuchen die üblichen Verdächtigen, Raumeffekte über Reflexionen an virtuellen Wände nachzubilden. Diffuse Laufzeitdifferenzen sozusagen, realisiert mit einem Netzwerk vieler kleiner Delays, die sich je nach „Wandbeschaffenheit des virtuellen Raumes“ gegenseitig beeinflussen können. Eine simple Stereofonie-Methode mit bekannten Unzulänglichkeiten und reichlich Phasen-Schweinerei.
Zwangsläufig entstehen Kammfiltereffekte, die man versucht, mit Modulation zu kaschieren. Das Chorusartige der alten Schätze ist damit ein notwendiges Übel und sicherlich kein erklärtes Entwicklungsziel gewesen. Der „falsche Charme“, insbesondere alter Lexicons wie dem 480L, hat der Sache aber keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: 80s, Cocaine, Fake-Smiles und Fake-Rooms passen ja irgendwie gut zusammen – abgesehen von Klassik- und Jazz-Musikern hat das anscheinend niemanden wirklich gestört, oder?
Ganz Gallien? Nein! Ein kleines Dorf namens Bad Wildbad im Schwarzwald ging einen gänzlich anderen Weg; besser gesagt die One-Man-Army von Ausnahmepionier und Orgelenthusiast Wolfgang Buchleitner. Der versuchte stattdessen Raummoden , die musterartige Bewegung und Resonanz von Luft im Volumen, zu simulieren. Macht mit Hinblick auf seine Liebe zu Orgeln, also resonierenden Luftsäulen, rückwirkend auch vollkommen Sinn.
Plump gesagt kam er auf die Idee eine Art digitalen Federhall zu bauen, nur eben mit besonders vielen Federn bzw. Resonatoren. Mathematisch betrachtet ist das Ganze recht einfach nachzuvollziehen, weil sich jede Schwingung gut mit einem Feder-Masse-System beschreiben lässt. Wie konkret sein dahinterliegender Algorithmus und die Interaktion der Teilsysteme nun aussehen, wissen und verstehen allerdings nur die allerwenigsten.
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Beeindruckender ist für mich tatsächlich aber die monumentale Umsetzung seines parallelen Berechnungswahnsinns mit diskreter Transistor-Transistor-Logik – sozusagen ein DSP in Handarbeit. Und das alles ohne Simulationssoftware und Hochsprache – nur mit Stift, Papier, wahrscheinlich jeder Menge Platinenätzen und Ausprobieren. Ende der 70er Jahre gab es schließlich keine SoCs, fertige DSPs oder gar schnellen Speicher.
1982: Quantec Room Simulator, diskreter DSP
Der erste Quantec Room Simulator war demnach vollständig diskret gebaut: Unmengen an Transistoren, Kondensatoren und Widerständen inklusive selbst gebauter AD/DA-Wandler – und das bei gerade mal vier Jahren Entwicklungszeit! Selbst Integrierte Multiplier und eine ALU kamen erst viel später in der QRS/XL-Variante hinzu. 1982 durfte das Fachpublikum jedenfalls staunen – auch über den stolzen Preis von 25.000 DM. Somit fanden die ersten Quantec Room Simulatoren, kurz QRS, die übrigens bis 1995 gebaut wurden, wohl auch nur in staatlich finanzierten Rundfunkanstalten ein zu Hause. Später folgte dann ein Wechsel zu DSPs basierten Lösungen, die die Materialschlacht deutlich reduzierten.
Der Algorithmus dahinter ist über die Jahrzehnte aber faktisch gleichgeblieben. Klangliche Unterschiede sind nur in der technischen Realisierung zu suchen. Der „alte“ Quantec von 1982 lief beispielsweise „nur“ mit 20 kHz und nutzte aufwendige analoge Filter. Später wurde übernahmen dies digitale FIR-Filter im Motorola, was bei kurzen Decays aber auch nicht ganz artefaktfrei war und als recht harsch empfunden wurde.
Um es jetzt nicht noch komplizierter zu machen: Manche Vintage-Liebhaber schätzen vor allem im Grenzbereich nach wie vor den ganz alten Kasten für seinen gritty Analogfilter-Sound. Die „neusten“ Yardstick-Generationen haben indes noch bessere „cleane“ Filter. Ja sogar verschiedene Algorithmen aka Plugins können nun geladen werden. Und diese beglücken besonders Klassiker, Jazz-Leute und Hörspiel-Producer, die Transparenz und noch erhabeneren Realismus schätzen. Die “aktuelle” Inkarnation von 2009 heißt übrigens Quantec Yardstick 2498.
Details
Digitale Kopie, keine Emulation
Und damit sind wir auch „schon“ bei unserem eigentlichen Thema angelangt, dem Savant Audio Labs Quantum 2772 Evolution, der ersten „richtigen“ und dennoch zu 100% inoffiziellen Plugin-Kopie des Quantec Yardstick 2402 von 1997, mit liebevollen Anteilen vom alten QRS von 1982 sowie einigen neuen Features.
Wie genau die Jungs an den Algorithmus gekommen sind – oder besser gesagt: Wie detailliert ihr Re-Engineering und die Portierung auf Computer-CPUs erfolgte, kann ich leider nicht sagen. Aber es funktioniert verdammt gut, selbst wenn es sauviel CPU-Ressourcen frisst, soviel steht fest.
Ich musste im Intro deswegen auch so weit ausholen, damit es im Folgenden nun knackiger zugehen kann. Wichtig ist noch eine Sache, die Normal-User sonst verwirren könnte: Neben dem Decay, was hier „theorierichtiger“ mit RT60 MAIN bezeichnet wird, gab es am alten 1982er Quantec Room Simulator auch die Möglichkeit, die Größe des Raumes zu beeinflussen. Spätere Geräte konnten das wegen fehlender DSP-Ressourcen (!) nicht. Nochmal: Was für ein Genie, der Typ!
Raum hoch 10
Was macht ein Reverb-Physiker, der nicht stumpf mit plakativen Size-Attributen wie Small, Medium und Large arbeiten möchte, als würde er Pommes bestellen? Richtig, er definiert Volumen in Kubikmetern.
Der QRS von 1982 beherrschte Raumvolumen von 1 bis 1.000.000 m3 – der Yardstick 2402 indes nur 10.000 „Meter hoch drei“. Eine Menge unübersichtlicher Nullen jedenfalls, sodass man besser gleich in Potenzen schreibt, also als 10x, wobei das x hier auf einen Punkt folgt. Noch Fragen? Sicher, deswegen schauen wir das besser mal im Originalhandbuch vom QRS nach, was den Sachverhalt folgendermaßen erläutert.
Der Quantum 2772 emulierte nur das fixe 10.4-Volumen des Quantec Yardstick 2402, das 10.5- und 10.6-Volumen gibt es indes als Extra und aktuell nur mit den drei 1982-Presets, die das Plugin dann auch in eine andere Farbe hüllen. Man kann sich gut vorstellen, dass der junge Hersteller hier sicherlich bald noch Nachschub liefern wird – ob nun kostenpflichtig oder nicht, wird die Zukunft zeigen.
Alle übrigen 2772 Presets basieren auf demselben „10.4-Volumen-Algorithmus“ und variieren damit nur in den verfügbaren Parametern. Und diese begrenzen sich, wenn man sie auseinander dröselt, je nach Sichtweise auch nur auf fünf bzw. drei Parameter.
Das soll aber keinesfalls stören, denn in Wahrheit verbirgt sich hinter jedem „Decay-Value“ tatsächlich ein eigener Algorithmus, sodass unter der Haube eine jede Menge mehr passiert. Allein die Earlys unterscheiden sich je nach RT60 massiv, was der Realität echter Räume entspricht. Will sagen: Man formt Spaces hier viel direkter, als man das mit den üblichen Reverbs und ihren vielen und kryptischen Parametern schafft.
Konkret gibt es einen RT60 MAIN, der die globale Nachhallzeit bestimmt, sowie einen RT60 HIGH, welcher das Abklingen der Höhen definiert, sowie einen RT60 LOW, der das für die Bässe übernimmt. Normalerweise klingen Höhen schneller ab als Bässe, sodass man mit umgedrehten Values auch gänzlich „unnormale“ Räume schaffen kann. Experimentalmusiker mit Faible für Drones sollten langsam erstes Zucken bekommen. Und damit sind diese drei RT60 Werte im Prinzip auch die wesentlichen Parameter, der Rest ist salopp gesagt Beiwerk.
Zurück aus der Zukunft: Dens Mode
Okay das stimmt so nicht ganz: Eine erste tolle Erweiterung ist beispielsweise DENS MODE, das zusätzliche Delay-Lines hinzufügt, wie man es erst von den neueren Yardstick-Generationen kennt. Das soll den Eindruck von Rückwurfdichte erwecken – wobei wir natürlich bereits wissen, dass eigentlich kein Rückwürfe im klassischen Sinne berechnet werden.
Bei dem QRS von 1982 lag der Wert jedenfalls fix bei 25%, was am natürlichsten klingt. Geringere Werte resultieren in offenen und „spärlich eingerichteten“ Räumen, wohingegen höhere Werte zu besonders komplexen und dichten Tails führen.
Eine weitere nette Ergänzung ist BANDWITH, ein Analog-Style-Filter, das Höhen in den Algorithmus hinein beschneidet. Ein High-Cut also, den man für „originalgetreue“ 1982-Ergebnisse am besten offen bzw. auf FULL belässt. Das Handbuch empfiehlt für noch verrücktere Sachen weiterhin, die EQs vor und nach dem Effekt zu nutzen, was ich auch als sinnvoll erachte. Gern auch sowas wie Soothe 2.
Mix it, delay it
Der Rest ist eigentlich nur noch Mixing: ein trockenes Signal (DIRECT LEVEL), ein verhalltes Signal (REVERB LEVEL) sowie 1st REFL LEVEL, ein einfaches Slap-Echo für den plakativen Einsatz. Alle Mix-Anteile können noch verzögert werden, wodurch man weitere kreative Möglichkeiten bekommt.
Ich habe das Reverb-Delay beispielsweise so genutzt, dass der kurze Hall selbst zu einer Art Slapback wurde bzw. besser gesagt zu einem Slapback-Reverb. Sowas passt wunderbar in die Zwischenzählzeiten perkussiver Ideen! Schöner wäre noch DAW-Sync gewesen, aber nun gut – kommt vielleicht noch. Ebenfalls witzig: Man kann das Reverb auch vor dem trockenen Signal kommen lassen, für noch mehr „Out-of-this-World“-Feeling.
Haas und Korrelation
Außerdem gibt‘s Feineinstellungen für das Stereoverhalten – dazu gehört u.a. Correlation, das den abhängigen Unterschied zwischen L/R beschreibt. Quantum 2772 ist ein True-Stereo-Reverb und als solches berechnet es bei Bedarf für links und rechts getrennt. Somit arbeitet Paning in den Effekt hinein auch deutlich eindrucksvoller als nur mit Pegelvariation. Der Haas-Effekt regelt indessen Verzögerungen zwischen L/R für einen weiteren Effekt des „räumlichen“ Hörens. Klingt alles kompliziert, hören wir uns das Ganze deshalb doch einfach mal an:
Thomas K sagt:
#1 - 06.08.2022 um 08:33 Uhr
Ich habe das Reverb ohne zu zögern gekauft und bin begeistert. Was ich allerdings nicht verstehe, ist die aussage, daß es so resourecen hungrig sein soll. Ich kann das auf meinem Mac mini m1 16 gb nicht bestätigen. Es läuft super, auch mit mehreren Instanzen.
Felix Klostermann sagt:
#1.1 - 06.08.2022 um 12:04 Uhr
Auf M1 läuft es gut, es braucht aber schon etwas Leistung, übirgens je nach Mode auch unterschiedlich. Nutzt du Live? Wieivel CPU-Points braucht denn eine Instanz bei dir? Da ich keine "alten" Maschinen mehr hab und es nicht überprüfen konnte, wolle ich lieber vorsichtig warnen, anstatt Leute ins Verderben zu stürzen :-) Danke dir und LG; Felix
Antwort auf #1 von Thomas K
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